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BAUSTEIN 1 - 50

50. Ist der Buddha gottlos?  -  13. Dezember 2009

"Der Buddhismus ist eine nicht-theistische Religion. Wie in manchen anderen Religionen - im Taoismus, Jainismus und in gewissen Formen des philosophischen Hinduismus - gibt es auch im Buddhismus für Gott keinen Platz. Er erkennt kein oberstes Wesen im Sinne eines Weltenschöpfers an." (Aus: Sangharakshita, "Mensch? Gott? Buddha", Kapitel 8.)

Brahma und andere Götter werden im Buddhismus nicht als Ausdruck der letzten Wirklichkeit gesehen. Und Fragen in die Richtung eines höchsten Gottes werden für den Erlösungsweg des Menschen als nicht relevant angesehen. Der Buddha hat solche Fragen nicht beantwortet und seinen Schülerinnen und Schülern empfohlen, sich solchen Themen nicht zuzuwenden.

Ist der Buddha deswegen gottlos? Ich habe in diesen Bausteinen schon vom Ishin-Denshin gesprochen, der Übertragung von Herz-Geist zu Herz-Geist. So soll das Buddha-Dharma vom Meister auf die Schüler und Schülerinnen übertragen werden. Da der Status des Meisters bzw. der Anspruch, ein Meister zu sein, auch missbraucht werden kann, sage ich lieber: von Mensch zu Mensch.

Wenn ich meinen Herz-Geist dem Buddha zuwende, so erfahre ich eine große Weite, die oft missverstanden wird. Es geht ihm darum, den Menschen einen Weg zu weisen, der sie aus dem Leid herausführt, das sie sich selbst und anderen zufügen, oder das unabänderlich als ihr eigener Tod oder der Tod ihrer Lieben auf sie wartet. Dieser Weg ist missverständlich als der Weg zur Erleuchtung bezeichnet worden, denn es geht nicht darum, Erleuchtung zu erreichen, sondern das Streben nach Erleuchtung fallen zu lassen und sich nie als eine Erleuchtete oder einen Erleuchteten zu fühlen oder zu bezeichnen. Denn jede Bezeichnung mit "ich bin" oder "er/sie ist" hält fest und verfehlt ihr Ziel.

Im Herz-Sūtra sagt der Buddha: "Gate, gate, parasamgate, bodhi svaha." Für diese Worte gibt es verschiedene Übersetzungen und Deutungen.

Wörtlich: "Gegangen, gegangen, hinübergegangen, ans andere Ufer hinübergegangen, zum Erwachen gelangt, Heil!"

Man kann es aber auch so auslegen: "Zerfalle, zerfalle, alles zusammen zerfalle; wir können nichts dagegen tun."

Diese beiden Versionen sind wie zwei Seiten einer Münze. Die eine Seite bedeutet, die Vollendung gefunden zu haben. Die andere Seite bedeutet, dass alles weggefallen ist, was der Vollendung im Weg war. Doch damit ist nicht alles gesagt. Denn vollendet zu werden ist ein Vorgang, der über Zeit und Ewigkeit hinausführt und so gesehen niemals einen Abschluss findet. Von der Transzendenz werden immer neue Horizonte eröffnet. Und dass etwas wegfällt, schließt ein, dass es in die Vollendung hineinfällt und dort aufgehoben wird.

Der (historische) Buddha ist der Tathāgata, der so Dahingelangte, der so Gekommene, der Vollendete, oder derjenige, bei dem alles Hindernde zerfallen ist. Und mit dem (eigenen inneren) Buddha in uns sind wir alle auf demselben Weg, dem Weg zum Nirvāna, zum vollkommenen Überwinden von Gier, Hass und Verblendung, zum Zuruhekommen der Tatabsichten und zum Eingehen in eine völlig andere Existenzweise.

Ich beschreibe nun das Nirvāna mehr mit meinen eigenen Worten als nach den verschiedenen buddhistischen Schulen. Ich bin nicht auf dem Weg zum Nirvāna, und das Nirvāna ist an keinem Ort. Es ist hier. Es ist überall. Es ist nirgends. Gier, Hass und Verblendung werden nicht überwunden, sondern liebevoll berührt, bis sie ihrer Verwandlung zustimmen. Die Tatabsichten kommen zur Ruhe, aber das Strömen der Liebe kommt zur Fülle der Verwirklichungsmöglichkeiten. Das Nirvāna ist keine andere Existenzweise, sondern es ist das Einbringen von allem Irdischen in seine eigenste Existenz. Es ist unabhängig von allen Beschreibungen, allen Wegen, die gezeigt und allen Übungen, die geboten werden. Nirvāna ist nicht einfach Verlöschen, und es ist nicht einfach Glückseligkeit. Es ist nicht Abkapselung, sondern das restlose Zugewandtsein. Der Buddha hat sich geweigert, das Nirvāna zu beschreiben.

Ein Korb voller Geschenke wurde mir gegeben. Ich bin immer mehr bereit, sie auszupacken. Ein großes Geschenk ist das, was Jesus von Nazaret in die Welt gebracht hat. Und ein großes Geschenk ist das, was 500 Jahre vorher von Siddhārtha, dem historischen Buddha, erarbeitet wurde.

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49. Wie real ist die Realpräsenz?  -  13. Dezember 2009

Die Evangelischen und die Katholischen sprechen von der Realpräsenz, womit gemeint ist, dass beim Herrenmahl, wie der ökumenische Ausdruck lautet, in Brot und Wein der Leib und das Blut des auferstandenen Jesus anwesend und gegenwärtig sind. Es handelt sich hier um mehr als um das Geschehen, das die beiden Emmausjüngerinnen oder -jünger erlebten, als sie den Auferstandenen beim Brotbrechen erkannten, worauf er ihren Blicken entschwand. (Lk 24,30-31.) Und es handelt sich um mehr als um das, was Jesus meint, wenn er sagt: "Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen." (Mt 18,20.)

In Brot und Wein sind also der Leib und das Blut des auferstandenen Jesus anwesend und gegenwärtig. Glauben wir das oder wissen wir das? Im Oktober 1978, gerade als Karol Józef Wojtyła zum Papst gewählt worden war, verbrachte ich zwei Tage in Darmstadt-Eberstadt, um dort die evangelischen Marienschwestern auf ihrem Wohnsitz "Kanaan" zu besuchen. Jetzt, da ich mich an diese Tage erinnere, habe ich ein wenig im Internet gesucht, um zu sehen, was aus der Gemeinschaft geworden ist. Dabei habe ich folgenden Bericht gefunden: "Wenn Gebundene frei werden ... Eine ehemalige Marienschwester erzählt ihre Geschichte." von Charlene Andersen. Der Bericht wirkt auf mich wirklich befreit, offen und ehrlich. Die Frau, die heute mit einem ehemaligen Franziskusbruder aus "Kanaan" verheiratet ist, ist in den vierzehn Jahren ihrer Ordenszugehörigkeit durch eine Hölle gegangen. Der Bericht endet mit den Worten: "Es ist nicht unsere Absicht, Streit und Spaltung hervorzurufen, wie einige behaupten. Dennoch kann es keinen wahren Frieden und keine Versöhnung geben, wenn man Handlungen und Lehren vertuscht, die wohlmeinende, vor allem junge Leute verletzen und ausbeuten. Wir wünschen all denjenigen Heilung und Freiheit, die durch 'Kanaan' negativ beeinflusst worden sind. Zu diesem Zweck werden wir auch weiterhin die Wahrheit sagen. Lassen Sie uns daran erinnert sein, dass wir alle Gott gegenüber dafür verantwortlich sind, was wir mit unserem Wissen anfangen."

Doch nun zurück zum Oktober 1978. Am zweiten Tag nahm ich an einem Gottesdienst mit Abendmahl teil, der auf "Kanaan" in der Jesu-Ruf-Kapelle stattfand und den ein evangelischer Pfarrer hielt. Bei der Predigt kritisierte der Pfarrer - wohl anlässlich der Wahl eines neuen Papstes - die Prunkentfaltung im Vatikan. Die Stimmen des Schwestern-Chors wirkten auf mich überirdisch schön. Und dann kam das Abendmahl. Ich ging nach vorne, denn alle getauften Christen waren eingeladen, also auch ich als Katholik. Ich nahm Brot und Wein und damit Leib und Blut Jesu. Es traf mich wie ein Blitz - nicht wie ein zerstörender, sondern wie ein erhellender. Es war ein Erlebnis, wie es der folgende Satz beschreibt: "Wie der Blitz vom Osten ausgeht und bis zum Westen leuchtet, so wird es auch mit der Ankunft des Menschensohnes sein." (Mt 24,27.) Ich erlebte, dass Jesu Kirche eins ist, dass er über den Spaltungen steht, die die Menschen machen. Ich erlebte, dass er wahrhaftig präsent war. Und meine Tränen flossen.

Ich komme zurück zu der Frage: Glauben wir das oder wissen wir das? Meine Antwort ist, dass Gott uns die Konvergenz von Glauben und Wissen schenkt. Erlebnisse dieser Art bilden die Bausteine des herrlichen Gebäudes aus Glauben und Wissen, und sie gehen niemals wieder verloren. Gott baut auf solchen Erlebnissen auf. Und heute, 31 Jahre später, ist es so, dass oft, wenn ich zur katholischen Kommunion oder zum evangelischen Abendmahl gehe, meine ganze innere Befindlichkeit schlagartig verändert wird, von Wut zu Verständnis, von Ungeduld zu Gelassenheit, von Verwirrung zu Durchblick, von indifferenter Befindlichkeit zu dem Spüren, dass Jesus mit seinem Leib und Blut in mir ist und Heilung und Heil bewirkt.

Der Vorsteher des Gottesdienstes spricht vor dem sogenannten Einsetzungsbericht die Epiklese. In meiner Fassung des zweiten Hochgebets der römisch-katholischen Kirche lautet sie wie folgt: "Sende deinen Geist auf diese Gaben herab und heilige sie, damit Leib und Blut des auferstandenen Jesus in ihnen wohnen und uns immer mehr mit ihm und untereinander verbinden."

Es erfolgt nicht auf magische Weise und es geschieht doch, dass der Leib des auferstandenen Jesus in dem Brot Wohnung nimmt und dass das Blut des auferstandenen Jesus in dem Wein Wohnung nimmt. Wenn wir Brot und Wein nehmen, werden uns im evangelischen Gottesdienst die Worte zugesprochen: "Christi Leib, für dich gegeben" und "Christi Blut, für dich vergossen". Und wenn wir nun essen und trinken, nehmen der Leib Jesu und das Blut Jesu Wohnung in uns, gestalten und verändern uns. Und wenn wir nun die anderen Menschen anschauen, ist Jesus wirklich in unserer Mitte. Es handelt sich hier wahrlich um ein Sakrament, um ein Mysterium, das ausgehend von einem Kern alles verwandelt: zuerst das Brot und den Wein, dann die Menschen, die Brot und Wein nehmen, dann die Gemeinschaft der Menschen, dann die Umwelt und die Erde.

Lassen wir die Wirkung dieses Sakramentes zu. Bremsen wir es nicht durch Unwillen, durch Unverständnis oder durch Gefühle der Unwürdigkeit.

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48. Der Sohn und der Vater  -  29. November 2009

Vor einigen Tagen habe ich das folgende kleine Gedicht geschrieben:

Messias

Wo viel Licht ist,
ist viel Schatten.
Doch du bist ein neues,
ein unbekanntes Licht –
ein Licht,
das keinen Schatten wirft.

Wer das schattenlose Licht sieht, sieht den Sohn, in einer unvergesslichen, für immer prägenden, unvergleichlich anziehenden Art und Weise. Den Vater kann man nicht sehen. Man kann sich ihn auch nicht vorstellen. Er / sie / es ist der Urgrund. Das Wort "Urgrund" verwende ich dabei als Platzhalter für Unsagbares, Unspürbares. Der Vater geht über Sein und Nichts, Tun und Lassen, Zeit und Ewigkeit hinaus. Man kann sich ihm zuwenden, kann sich ihm vollständig hingeben, kann ihm alles überlassen. Das kann man tun zusammen mit dem Sohn, der uns in allem und jedem vorangeht, mit dem man von Herz zu Herz verbunden sein kann, der uns mitnimmt, der uns an sich zieht.

Alles, was der Vater tut, kann er nur durch den Sohn tun. Er ist restlos auf den Sohn angewiesen. Und der Sohn ist restlos auf den Vater angewiesen. Er hat nichts, was er nicht vom Vater empfängt. Und auch wir haben letzten Endes nichts. Alles ist uns geschenkt, angefangen mit dem Leben, das wir einmal erhalten haben, vor unserer Geburt, vor unserer Empfängnis.

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47. Der Jesus, der in meinem Herzen lebendig wird  -  24. November 2009

Gestern Abend sagte Gerhild, meine Frau, zu mir: "Es kommt nur darauf an, Gott zu lieben und den Nächsten wie sich selbst. Wenn ich das tue, sind alle Religionen gleichwertig."

Ich antwortete: "Ja, das hat Jesus gesagt. Er hat aber noch etwas anderes gesagt: Komm und folge mir nach."

Sie fragte: "Was heißt das, ihm nachfolgen?"

Ich antwortete: "So lieben, wie er geliebt hat, bedingungslos und bis zum Letzten."

Leider ist das Zweite Bundesbuch ein sehr menschliches Werk. Jesus spricht von Rettung und droht Verdammung an. Jesus sagt, man soll den "Bruder" nicht mit Schimpfworten benennen, er selbst beschimpft jedoch die Pharisäer und Schriftgelehrten pauschal in ganz schlimmer Weise. Jesus scheut nicht davor zurück, mit den Verachteten der Gesellschaft Gemeinschaft zu haben, aber er sagt, wenn ein "Bruder" auf die "Gemeinde" nicht hören will, so soll er ausgeschlossen werden.

Und Paulus führt das Anathema, den Bannfluch in die christlichen Gemeinden ein:
1 Kor 16,22: Wer den Herrn nicht liebt, der sei verflucht!
Gal 1,9: Wenn jemand euch eine andere Heilsbotschaft verkündigt als die, welche ihr (von mir) empfangen habt: Fluch über ihn!

Zeitbedingtes und Allzumenschliches mischt sich mit der "frohen Botschaft". Wie war Jesus wirklich? Was hat er wirklich gesagt? Ich gehe auch von anderen Blickwinkeln aus, aber mein Blickwinkel auf die Bibel ist der Blickwinkel meiner Bearbeitungen, in denen ich ausdrücke, was mir von Herzen kommt und was nach meiner Meinung dem Leben und der Liebe dient.

Ich folge Jesus nach, dem Jesus, der in meinem Herzen lebendig wird und der sich bedingungslos dafür hingibt, alle zu retten und niemanden zu verdammen. Ich sehe in seinem Leben einen Lernprozess, zum Beispiel wenn er sich zunächst nur zu den Israeliten gesandt fühlt und dann erkennt, dass er für alle Menschen da ist. Und wenn ihm grässliche apokalyptische Schilderungen in den Mund gelegt werden - hat er es wirklich gesagt, und wenn ja, hat er es deswegen gesagt, damit es niemals eintritt? Wir wissen es nicht.

Ich folge dem Jesus nach, der sich selbst vollständig dem Vater hingegeben hat und der gänzlich für alle Menschen und die ganze Schöpfung da ist, über seinen Tod hinaus. Ein anderer Jesus kann in mir nicht lebendig werden.

Gerhild kommentiert das so: Jesus war nicht römisch-katholisch!

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46. Ich bin kein Schaf  -  22. November 2009

Als ich vor knappen drei Jahren die Kirchenreformbewegung "Wir sind Kirche" näher kennenlernen wollte, sah ich mir die Website der Bewegung an. Da fiel mir auf, dass sie eine Schriftenreihe herausgegeben hatten, die sich "Herdenbriefe" nennt. Ich dachte mir: Wenn sich jemand mit Mitra und Hirtenstab schmückt und wenn dieser jemand "Hirtenbriefe" schreibt, so ist das seine Sache. Aber man wird doch nicht freiwillig "Herdenbriefe" herausgeben und sich selbst ein Schaf nennen. Ich bin kein Schaf.

Vorgestern habe ich einen Vortrag über die notwendige und Not wendende Geschwisterlichkeit in der Kirche gehört. Der Vortragende (Paul Weß) sagte dabei, dass bereits wenige Jahrhunderte nach dem Tod Jesu die Priester für die anderen Christinnen und Christen zu Vätern wurden, die als Hirten eine Herde zu betreuen hatten. Ich bin aber kein Herdentier, nicht einmal ein Herdentier Gottes.

Der Psalm 23 beginnt mit den Worten:

Der HERR ist mein Hirt;
mir mangelt nichts.
Auf grünen Auen lässt er mich lagern,
zum Lagerplatz am Bache führt er mich.
Er erquickt meine Seele.

In meiner Bearbeitung klingt das so:

Der Herr behütet mich;
Tag und Nacht sorgt er für mich.
Wie das Vieh sich freut
über saftige Weiden und frisches Wasser,
so freue ich mich über meinen Gott.

Im Psalm 95 gibt es folgende Passage:

Denn er ist unser Gott,
und wir das Volk seiner Weide,
die Herde seiner Hand (oder: Hut).

Diese Zeilen habe ich so wiedergegeben:

Er ist unser Gott
und wir sind sein Volk,
das er liebt und das er leitet.
Gebt euch vollständig hin
und erwartet alles von ihm.

(Meine Psalmenbearbeitungen sind in meinem Buch "Du bist da" enthalten.)

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45. Gott und Urvertrauen  -  22. November 2009

Unlängst habe ich ein Bonmot gehört: "Ein Dogma ist ein Gesetz, das Gott vorschreibt, wie er zu sein hat." Dieses Bonmot entspricht meiner Art zu beten, ohne Gott irgendetwas vorzuschreiben.

Wenn ich bete, rede ich Gott so an: "Mein Herr und mein Gott". Das entspricht dem Gebet von Bruder Klaus, das ich täglich mehrmals bete. (Siehe meinen Baustein 40. Hingabe als Grundprinzip des Lebens.) Das ist auch die Aussage des Thomas über den auferstandenen Jesus. (Siehe Joh 20,28.) Und so wird Gott auch in vielen Psalmen der Bibel in meiner Bearbeitung angeredet.

Wenn ich Gott mit "Mein Herr und mein Gott" anrede, so weiß ich letzten Endes nichts über den, den ich so anspreche. Er ist weiblich / männlich / sächlich und transzendiert alle diese Bestimmungen. Aber ich gebe mich ihm voll Vertrauen vollständig hin. An einem Punkt meines Lebens, ich war schon über fünfzig Jahre alt, habe ich ein ganz tiefes Vertrauen erhalten, ein Urvertrauen, das besagt, dass ich geborgen bin, was auch immer geschieht. Ich habe damals das Urvertrauen eben nicht mit dem Verstand erfasst, sondern mit tiefer liegenden Schichten meiner Persönlichkeit. Und langsam hat es sich ausgebreitet, zum Vertrauen auf das Leben, auf Gott, auf die Welt.

Wer oder was auch immer das ist, den ich mit "Mein Herr und mein Gott" anrede, ich vertraue ihm vollkommen. Und ich setze es in Beziehung zu Jesus, dessen Herzen ich mich Tag für Tag weihe und dem ich nachfolge. Er, der mich den Weg zur Wahrheit und zum Leben führt, ist er etwa vollständig in Gott enthalten? Und ist das etwa unser aller Ziel, das Ziel aller Menschen und der ganzen Schöpfung?

Dazu sage ich ja.

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44. Ist die Offenbarung abgeschlossen?  -  10. November 2009

Im Johannesevangelium steht folgender Satz: "Denn so sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen (= einzigen) Sohn hingegeben hat, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren gehen, sondern ewiges Leben haben." (Joh 3,16.)

Die Übersetzung "eingeborener Sohn" ist von Martin Luther, die erklärende Beifügung "einziger Sohn" ist von Hermann Menge. Im griechischen Original steht hyios monogenes (monos = einzeln, einzig, genes = geboren oder gezeugt, hyios = Sohn).

Origenes hat gesagt, dass die Zeugung des Sohnes durch den Vater aus der Zeit herausgehoben ist. Es gibt keinen Zeitpunkt in der Vergangenheit, an dem das geschehen ist. In unser Verständnis hinein übertragen ist es die große, immerwährende Gegenwart des unvorstellbar innigen Verhältnisses von Vater und Sohn.

In meiner Bearbeitung (veröffentlicht in meinem Buch "Du bist Liebe") lautet der Satz in Joh 3,16 so: "Denn Gott liebt die Welt so sehr, dass er sich selbst in dem Menschensohn hingibt, damit alle, die es möchten, nicht zugrunde gehen, sondern ewig leben."

Jesus ist Gottes Sohn wie kein anderer. Er ist nicht einfach das Siegel der Propheten. Propheten gibt es auch nach Jesus. Aber Jesus ist unverwechselbar. Er allein hat für alle Zeiten, für die Zeiten vor und nach ihm, Gott selbst auf die Welt gebracht, das Wesen Gottes, die unermessliche Liebe Gottes. Er verkörpert die unermessliche Hingabe an Gott, die unvorstellbare Nähe zu Gott, die unvorstellbare Hingabe an alle Menschen und den ganzen Kosmos, die dazu führt, dass von ihm zu Recht gesagt wird: Ja, er ist selbst Gott.

In diesem Sinn ist die Offenbarung abgeschlossen.

Jesus ruft uns in die Nachfolge. Je mehr wir in diese bedingungslose Hingabe hineinwachsen, die er uns vorgelebt hat, desto mehr werden wir Gott ähnlich. Und irgendwann, bei den meisten Menschen wohl erst nach ihrem Tod, wenn wir durch alle Höllen und Himmel gegangen sind, werden wir ganz vergottet, werden wir vollständig von ihm erfüllt sein, werden wir in ihm aufgegangen sein und dabei ganz wir selbst sein. Origenes nennt das Apokatastasis panton (Wiederherstellung oder Neuordnung von allem).

Die Vergottung (Theosis) des Menschen ist nach Gregorios Palamas "eine übernatürliche Teilhabe und Einigung mit der Wesensenergie Gottes." Dabei gibt Gott seine Transzendenz und der Mensch seine Geschöpflichkeit nicht auf. Im Westen schwächt man den Ausdruck "Vergottung" des byzantinischen Theologen ab und spricht von Vergöttlichung. (Aus einer Beschreibung des Buches "Philosophie in Byzanz" von Georgi Kapriev.)

Wir haben als Menschen die Aufgabe erhalten, die ganze Schöpfung in die Neuordnung mit hineinzunehmen. Nicht nur wir selbst werden sterben und auferstehen, die ganze Erde wird sterben, und sie wird ihren Auferstehungsleib erhalten. An unserer eigenen Auferstehung und an der Auferstehung der Erde dürfen und müssen wir arbeiten, JETZT, in der Gegenwart Gottes, im Herzen mit Jesus verbunden.

In diesem Sinn ist die Offenbarung niemals abgeschlossen, solange die Erde besteht.

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43. Ein Acrylbild zu Lk 13,10-17  -  29. Oktober 2009

                                   

Dieses Bild habe ich zu Lk 13,10-17 gemalt: Jesus heilt am Sabbat eine Frau, deren Rücken so stark gekrümmt war, dass sie sich nicht mehr aufrichten konnte.

Ich habe nur die Farben Schwarz und Gelb verwendet, und das Bild hat einen Entstehungsprozess. Erst habe ich einen schwarzen Klumpen in der Mitte gemalt, der größer und größer geworden ist, entsprechend zu den Jahren, in denen die Frau immer mehr niedergedrückt wurde. Dann habe ich eine breite gelbe Einfassung gemalt, mit der Vorstellung, dass nun die heilende Kraft die Frau umhüllt und schützt. Schließlich habe ich das Gelb in den schwarzen Bereich eindringen lassen und habe, den Pinsel von innen nach außen führend, den schwarzen Bereich immer mehr mit Verlebendigung und Heilung erfüllt, bis schließlich das Gelb als strahlender Sieger das Schwarz nicht umgebracht, sondern in den Bereich des Lichtes und der Liebe integriert hat.

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42. Wie Bibelinterpretation nicht sein soll  -  12. Oktober 2009

Geht ein Mann zum Schneider und lässt Maß nehmen für einen neuen Anzug. Nach einer Woche kommt er zur Anprobe. Dabei stellt er fest, eines der Hosenbeine ist zu lang. “Nur, wenn Sie so steif stehen,” sagt der Schneider, “im Gehen, ein Bein nach vorne, passt er genau.” “Aber das Sakko schlägt am Rücken Falten!” wundert sich der Kunde. “Sie stehen so unnatürlich. Da ist das kein Wunder. Beugen Sie sich nach vorne! So passt es wie angegossen,” entgegnet der Schneider. “Und warum ist der linke Ärmel so kurz?” fragt der Mann. “Weil Ihre Schulter hängt. Ziehen Sie die Schulter hoch! Sehen Sie: Ein perfekter Sitz!” Der Mann lässt sich überzeugen. Zahlt und geht wie ihm geraten im Anzug auf die Straße. Da kommen ihm zwei Damen entgegen. Flüstert die eine der anderen zu: “Schau mal, der arme Krüppel!” Antwortet die andere: “Ja, aber einen guten Schneider hat er!”

So soll Bibelinterpretation nicht sein.

Im 19. Kapitel des ersten Mose-Buchs kündigt Gott Abraham an, dass er die Städte Sodom und Gomorra vernichten werde. Abraham tritt als Fürsprecher für die Menschen ein und bringt Gott zu der Zusage, dass er die Städte verschonen werde, wenn er auch nur zehn Gerechte dort finden werde. Gott findet aber nur einen einzigen Gerechten, nämlich Lot, den Neffen Abrahams. Daher wird Lot, seiner Frau und seinen beiden Töchtern die Möglichkeit geboten, aus Sodom zu fliehen. Es wird Lot aufgetragen, auf der Flucht nicht stehen zu bleiben und sich nicht umzudrehen.

"Als dann die Sonne über der Erde aufgegangen und Lot in Zoar angekommen war, ließ der HERR Schwefel und Feuer vom Himmel herab auf Sodom und Gomorra regnen und vernichtete diese Städte und die ganze Jordan-Ebene samt allen Bewohnern der Ortschaften und allem, was auf den Fluren gewachsen war." (1 Mose 19,23-25.)

Lots Frau hatte sich umgedreht und war stehen geblieben. Da hatte sie die flüssige Lava eingehüllt, und sie war zu einer Salzsäule erstarrt.

Ich frage mich: Ist Gott wirklich so fundamentalistisch, dass er in Schwarz-Weiß-Malerei zwischen Gerechten und Ungerechten unterscheidet? Und ist Gott wirklich so blind, dass er unter so vielen Menschen nur einen einzigen Gerechten findet? Und ist Gott wirklich so grausam, dass er unterschiedslos alle Menschen niedermacht, große und kleine, alte und Kinder, und dass er dazu noch die Fluren und Felder vernichtet?

Der Leiter eines Bibelabends, an dem ich teilnahm, erklärte voll Freude, diese Bibelstelle zeige, wie Gott die Menschen rette. Als ich auf das Ausmaß der Vernichtung hinwies, antwortete er: "Es hängt davon ab, wo Sie den Schwerpunkt setzen." Als er das sagte, wurde ich an den alten Witz mit dem Schneider erinnert.

Eine Freundin unserer Familie hat keine Antwort gewusst, als ihr sechsjähriger Sohn sie fragte: „Gott hat doch gesagt, Du sollst nicht töten. Und bei der Sintflut bringt er dann so viele Menschen um?“

Das Kind hat recht. Die Erwachsenen trauen sich oft nicht, so geradlinig zu denken.

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41. Liebe und Multidimensionalität  -  10. Oktober 2009

Es hat sich in meinem Leben als wesentlich herausgestellt, einen weiten Blickwinkel zu haben. Oder besser noch: mit möglichst vielen Blickwinkeln gleichzeitig zu schauen. Das verleiht Gelassenheit. Wenn Sie es versuchen wollen: Man muss sich zurücknehmen und vom Hinterkopf her ein weitgefächertes Schauen und Hören zulassen. Zulassen ist das richtige Wort, denn man darf dabei nicht ungeduldig sein, nicht drängen. Und es geht nie darum, einen Standpunkt durchzusetzen. Es geht immer um die Sache.

Ja, aber was ist denn eigentlich die Sache? Rutscht man auf diese Weise nicht in Beliebigkeit und Relativismus ab? Das geschieht nicht, wenn die Basis die Liebe ist. Ich habe natürlich meine Meinung, aber die wird immer neu gestaltet, sie bildet sich weiter im liebevollen Hören auf alle und alles und ganz besonders in der vollständigen Hingabe an den höchsten Herrn, den ich immer wieder bitte, mir zu zeigen: Wo ist mein Weg?

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40. Hingabe als Grundprinzip des Lebens  -  6. Oktober 2009

Das Grundprinzip des Lebens und der Schlüssel zu einem erfüllten Leben ist Hingabe: Hingabe an Gott, Hingabe an Jesus, den unüberbietbaren Wegbereiter, Hingabe an Maria, die unüberbietbare Wegweiserin, Hingabe zwischen Mann und Frau, Hingabe an alle Menschen, Hingabe an die ganze Schöpfung. Hingabe lässt einen nicht innerlich verhungern, sondern sie führt zu Freude und Bereicherung.

Ich versuche, aus der Hingabe heraus jede Begegnung zu gestalten, jedes Denken, Fühlen und Handeln zu leben. Es gelingt mir nicht ganz, aber ich bin auf dem Weg dazu. Der Weg führt zu Freiwerden von Heuchelei und von süßlichem Lächeln, und er führt dazu, dass man zu einem Reagenzglas wird, in dem sich Bitterkeit auflöst, die eigene Bitterkeit und die Bitterkeit von Menschen, die einem begegnen. Der Weg führt zu schöpferischem Frieden. Mir ist bewusst, dass ich keinen Grausamkeiten und keinem blinden Hass ausgesetzt bin, dass es aber das alles in der Welt gibt.

Die Hingabe soll nach Möglichkeit jeden Augenblick des Lebens bestimmen. Daher bete ich täglich mehrmals das Gebet von Bruder Klaus:

Mein Herr und mein Gott,
nimm alles von mir,
was mich hindert zu dir.

Mein Herr und mein Gott,
gib alles mir,
was mich fördert zu dir.

Mein Herr und mein Gott,
nimm mich mir
und gib mich ganz zu eigen dir.

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39. Rangstreit und Herrenmahl  -  22. September 2009

Jesus warnt die Jünger immer wieder vor dem Rangstreit. Bei Matthäus, Markus und Lukas gibt es Szenen, wo die Jünger mit der Frage beschäftigt sind, wer der Größte von ihnen sei oder wer der Größte im Reich Gottes sei. (Mt 18,1-5; Mk 9,33-37; Lk 9,46-48.)

Einer Predigt des katholischen Pfarrers Josef Mohr in Heidelberg entnehme ich: "So war das also bereits am Anfang - und nicht erst später, wo die apostolischen Ränge und Ränkespiele die Kirche Christi in Mißkredit brachten, unglaubwürdig machen bis auf den heutigen Tag. Da kann er sich noch so oft wiederholen: Die Kirche, seine Jünger, seine Christen, bleiben bei dem ewigen Hickhack, eben dem 'Rangstreit der Jünger'."

In einem Informationsartikel der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs habe ich die folgenden Sätze gefunden: "Die aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen einigten sich erst 1973 auf ein gemeinsames Abendmahlsverständnis: 'Wir bekennen die Gegenwart des auferstandenen Herrn unter uns.' Spekulationen über die Art dieser Gegenwart werden abgelehnt – dies bleibt ein Geheimnis des Glaubens." (Das Einigungsdokument ist die "Leuenberger Konkordie".)

In dem Taschenbuch "Abendmahlsgemeinschaft ist möglich. Thesen zur Eucharistischen Gastfreundschaft" vertreten das Centre d`Etudes Oecumeniques (Strasbourg), das Institut für Ökumenische Forschung (Tübingen) und das Konfessionskundliche Institut (Bensheim) die folgende Auffassung: "Eucharistische Gastfreundschaft im Sinne der gegenseitigen Einladung, an der Mahlgemeinschaft mit Christus teilzunehmen, trotz der noch bestehenden Unterschiede im theologischen Verständnis und in der Praxis der Kirchen ist theologisch verantwortbar und in vielen Fällen pastoral sogar geboten. Die ökumenische Arbeit hat einen Stand erreicht, der nicht nur für einzelne Christen Konsequenzen hat, sondern gebietet, von einer reinen 'Notstandsseelsorge' zu einer offiziellen Praxis eucharistischer Gastfreundschaft zu kommen. Deshalb plädieren die Verfasser für eine offene Praxis eucharistischer Gastfreundschaft als Normalfall im Leben ökumenisch verbundener Gemeinden."

Dieses Buch ist kurz vor dem Ökumenischen Kirchentag in Berlin 2003 herausgekommen. Wie ich einem Artikel der Welt Online vom 27. Juni 2008 entnehme, soll es auch auf dem 2. Ökumenischen Kirchentag in München 2010 keine gemeinsame Feier des Abendmahls geben. "Die Kirchenleitungen suchen die Teilnehmer zu disziplinieren, dass es nicht zu solchen spektakulären Akten kommt wie am Rande des ersten gemeinsamen Treffens 2003 in Berlin. Dort gab es eine 'offene Kommunionfeier'. Zu ihr hatte der emeritierte katholische Theologieprofessor Gotthold Hasenhüttl auch Nichtkatholiken eingeladen. Er wurde prompt vom Priesteramt suspendiert - vom damaligen Trierer Bischof Reinhard Marx, der als Erzbischof von München und Freising 2010 katholischer 'Gastgeber' des Kirchentages sein wird."

Ist da nicht auch der Rangstreit der Jünger im Spiel?

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38. Wahre Hingabe ist grenzenlos  -  22. September 2009

In früheren Bausteinen habe ich mitgeteilt, dass ich mich dem Herzen Jesu geweiht habe, und dem Herzen Marias, und dem Herzen Gerhilds, meiner Frau, über den Tod hinaus, und dass ich diese Weihe Tag für Tag erneuere. Daher kann ich sagen: Ich gehöre Jesus. Voll und ganz. Kann ich denn da noch jemand anderem gehören? Ja. Ich kann auch sagen: Ich gehöre Maria. Voll und ganz. Und was ganz wichtig ist: Ich gehöre Gerhild, meiner Frau. Voll und ganz. Ich gehöre ihr restlos. Da ist nichts mehr übrig, was nach anderen Frauen schielt.

Und es geht weiter, darüber hinaus. Es gibt keine Grenze dafür, sich zu verschenken. Und es raubt keine Kraft, denn es öffnet die Möglichkeit und Wirklichkeit des Gebens und Nehmens. Das ist kein Widerspruch dazu, dass es krankhafte Situationen gibt, in denen man sich schützen muss. Doch sogar in solchen Situationen erhebt sich die Frage: Was wird mir geschenkt? Was wird aus mir herausgemeißelt?

Wenn ich mit Menschen beisammen bin, und wenn ich dann spüre, ich gehöre jedem einzelnen von ihnen, werde ich ganz leicht und frei. Wenn ich zwischen mir und dem Menschen, den ich für böse halte oder der ganz anders ist als ich oder dessen Verhalten und Worte ich gerade überhaupt nicht verstehe, keine Mauer errichte, verhindere ich, dass wir uns beide im eigenen Saft drehen, ermögliche ich die Befreiung.

Ich gehöre allen Menschen und der ganzen Schöpfung. Wenn ich durch den Wald gehe, spüre ich, dass ich jedem Baum und jedem Tierchen gehöre. Daher weiß ich, dass ich immer mehr Achtsamkeit und Verantwortung entwickeln muss.

Alles das sind keine Gedanken für das Sitzen am Schreibtisch, sondern für die Übung im Alltag.

Täglich bitte ich Gott, dass er mir seine Kraft und Liebe schenkt, damit ich mich daran erfreuen und sie weitergeben kann. Und nun ist mir etwas anderes aufgefallen. Dieser wunderbare einzige Gott, der zugleich nah und fern, zugleich vertraut und fremd ist, will auch geliebt werden, grenzenlos geliebt werden, und er antwortet auf die Liebe, die ich ihm zuwende, mit einer grenzenlosen und unvorstellbar schönen Berührung.

Er ist ausschließlich für mich da. Und ausschließlich für dich. Voll und ganz.

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37. Jesus ist für alle Menschen aller Zeiten da  -  22. September 2009

Auf meine Startseite habe ich als Motto meiner Theologie geschrieben:
"Meine Kirchgemeinde ist die Menschheit und mein Gotteshaus ist die Erde."

So allgemein dieses Motto klingt, ich verstehe es von Jesus her. Als Beispiel bringe ich meine zusammenfassende Bearbeitung der Stellen Mt 15,21-28 und Mk 7,24-30 mit dem Titel "Jesus heilt die Tochter einer Syrophönizierin":

Jesus ging nun von Galiläa weg und zog mit seinen Jüngerinnen und Jüngern in das Gebiet der alten phönizischen Städte Tyrus und Sidon. Die Leute hier hatten ihre eigene Religion und nicht die jüdische. Die Kunde von seinen Taten hatte sich auch in diesem Gebiet verbreitet, und er wurde bald von einer syrophönizischen Frau angesprochen. Sie sagte: Herr, meine Tochter ist von einem Dämon besessen. Hab Erbarmen mit uns, ich weiß, dass du helfen kannst!

Jesus hatte schon viele nichtjüdische Leute geheilt, denn aus allen Richtungen waren sie nach Galiläa gekommen. Doch diese Frau hatte ihn mit „Herr“ angesprochen und ihn damit als einen Gesandten Gottes über alle religiösen Grenzen hinweg geehrt. Daher sagte er zu ihr: Komm morgen wieder.

In der Nacht betete er intensiv zu Gott, dem Vater und erlangte dabei die Gewissheit, dass er der Heilige Gottes für alle Menschen aller Religionen war und nicht nur für die jüdischen Bewohner von Galiläa und Judäa.

Am nächsten Tag kam sie wieder. Sie strahlte vor Freude, fiel auf die Knie, ergriff seine Hand und sagte: Meine Tochter ist geheilt, Herr. Ich danke dir so sehr!

Jesus fragte: Wann wurde sie geheilt?

Die Frau sagte: Mitten in der Nacht schrie sie laut auf. Dann war es vorbei. Sie hatte wieder ihre frühere Stimme und konnte mir wieder in die Augen schauen. Ich bin so glücklich!

Da wusste Jesus, dass sie genau zu der Zeit geheilt worden war, als ihn der Vater für alle Menschen aller Religionen und aller Zeiten gesendet hatte.

In der Nachfolge Jesu bin auch ich für alle Menschen aller Religionen und aller Zeiten da.

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36. Vergänglichkeit und Unvergänglichkeit  -  8. September 2009

Seit ich den Roman "Gigamord" von Christoph Kühnhanss gelesen habe, ist mir viel mehr bewusst, dass mein Fleisch einmal von mir abfällt und verwest, dass meine Knochen, blankgeputzt, einmal zu Staub zerfallen. Doch dieser unendlich feine, unendlich fein verteilte Staub wird wie Augen sein, die überall im Kosmos aufgehen, und besonders auf der Erde. Diese Augen werden überall strahlen, und sie werden mir, der ich dann nicht mehr bin, erlauben, überall die Liebe zum Leuchten zu bringen, denn Augen können nicht nur sehen, sondern auch etwas vermitteln.

Wer wird das Leuchten wahrnehmen?

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35. Gott und Transzendenz  -  8. September 2009

Heute habe ich ein kleines Gedicht gemacht:

Von Gott
das Licht wegnehmen
und die Dunkelheit,
die Zeit wegnehmen
und die Ewigkeit.
Was bleibt?
Nichts.
Was bleibt?
Gott.
Was bleibt?
Liebe pur.

Gott transzendiert alle unsere Bestimmungen der letzten Wirklichkeit. Er transzendiert das Persönliche und das Unpersönliche. Er hat etwas Verhüllendes und etwas Offenbarendes. Er hat etwas, das wartet, und etwas, das wirkt. In meiner Bearbeitung des ersten Kapitels des Daodejing habe ich geschrieben:

Es gibt einen zeitlosen Urgrund in allem.
Es gibt einen Weg in allem,
der sich in der Zeit entfaltet.
Das Wortlose
ist der Urgrund von Himmel und Erde.
Das Benennende
ist die Entelechie aller Dinge.

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34. Einheit als Geschenk Gottes  -  4. September 2009

Vor einigen Tagen im Arbeitszimmer. Gerhild, meine Frau, betritt den Raum. Und dann drei Eindrücke, Schlag auf Schlag. Ich sehe Gerhild von hinten und spüre: Wir sind eins. Gerhild setzt sich zu mir und schaut mich an, und ich spüre: Wir sind eins. Ich denke etwas, und in dem Augenblick spricht Gerhild es aus, und ich spüre: Wir sind eins.

Dieses Spüren der Einheit hatte eine ganz besondere Färbung. Es ging von der Erotik her in die Tiefe. Es war erotisch und zugleich viel, viel mehr, etwas Unerschütterliches, Unauslöschliches, etwas, das unabhängig von Raum und Zeit besteht.

So entsteht Staunen und Dankbarkeit, über diesen Zufall, über dieses Geschenk Gottes, das uns zugefallen ist.

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33. Ist Jesus auferstanden?  -  4. September 2009

Meiner Meinung nach muss man mit der Frage beginnen: Gibt es eine Auferstehung der Toten? Zur Zeit Jesu war das eine Streitfrage. Die Pharisäer sagten ja, die Sadduzäer, zu denen die höhergestellten Priester gehörten, sagten nein. In Lk 20,27 beginnt eine Auseinandersetzung zwischen Jesus und einigen Sadduzäern, die damit endet, dass Jesus in meiner Bearbeitung sagt: "Hast du nicht in der Schrift gelesen, wie Mose vor dem brennenden Dornbusch stand und wie Gott zu ihm sagte: 'Ich bin der Gott Abrahams und der Gott Isaaks und der Gott Jakobs'? Glaubst du denn, dass Gott ein Gott von solchen ist, die nicht mehr existieren? Oder dass er ein Gott von toten Schatten ist, die im Totenreich gefangen gehalten werden? Nein, er ist ein Gott von solchen, die zum vollen Leben erwacht sind."

Alle Menschen gehen nach dem Tod durch einen Prozess, in dem sie zum vollen Leben erwachen. Abraham, Isaak und Jakob sind zum vollen Leben erwacht. Und ausgerechnet Jesus sollte nicht zum vollen Leben erwacht sein? Das wäre absurd.

Es liegt also auf der Hand, dass Jesus auferstanden ist. Bleibt noch die Frage nach der Bedeutung des leeren Grabes. Jesus ist auferstanden, unabhängig davon, ob sein Grab nun leer war oder nicht. Was das leere Grab jedoch andeutet, ist, dass der Prozess, in dem er zum vollen Leben erwachte, von der Kürze eines Blitzes war, dass die Kategorien von Zeit und Ewigkeit blitzartig von ihm abgefallen sind. Ob das Turiner Grabtuch nun echt ist oder nicht, es ist eine Möglichkeit, dass sein Körper sich von einem Augenblick zum anderen durch Abstrahlung aufgelöst hat, und dass der abgestrahlte, verwandelte Körper in der umfassenden neuen Existenz Jesu geborgen ist.

Was ist nun das Besondere an Jesu Auferstehung? Dazu sagt der Kolosserbrief etwas. Nach Kol 1,15 ist Jesus der Erstgeborene der ganzen Schöpfung und nach Kol 1,18 ist er der Erstgeborene der Toten. Als der Erstgeborene der ganzen Schöpfung ist er unsere Brücke ins irdische Leben und als der Erstgeborene der Toten ist er unsere Brücke in das Leben, das mit dem Tod nicht endet. Er ist unser Leben.

Was das für uns bedeutet, ist freudige Erwartung oder sogar das Gefühl, schon angekommen zu sein, von dem Grauen des Todes niemals mehr verschlungen werden zu können.

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32. Wespen, Spinnen und Nacktschnecken  -  4. September 2009

In diesem Jahr hat es mehr Wespen als sonst gegeben. Wenn wir auf der Terrasse beim Frühstück sitzen, kommen sie. Sie interessieren sich sehr für Marmelade, Honig und Müsli. Sie trinken auch gern unseren Tee. In dem Fall müssen wir sie allerdings vor dem Ertrinken retten. Manchmal stellen wir einen kleinen Teller mit Marmelade oder saftigen Birnenresten seitlich auf, damit sie von den Sachen, die wir selbst essen wollen, abgelenkt werden. Wenn eine auf unseren Händen krabbelt, regt uns das nicht auf. Weder meine Frau noch ich haben eine Insektengiftallergie.

Bei anderen Leuten beobachten wir oft, dass sie beginnen, um sich zu schlagen, um die Wespen zu verscheuchen, oder sie erschlagen die kleinen Tiere.

Wir haben auch Spinnen im Haus. Unlängst zeigt meine Frau in eine obere Zimmerecke und sagt zu mir: "Schau dir das an." Ich sehe oben einen Weberknecht und sage: "Da sind ja lauter kleine Pünktchen daneben." Meine Frau lacht und sagt: "Das werden lauter kleine Spinnen. Die dürfen bei uns leben."

Was nicht bei uns leben darf, sind Nacktschnecken. Meine Frau hat heuer schon tausende mit der Schere zerschnitten. Angeblich ist das für die Schnecken weitgehend schmerzlos. Sie streut auch Schneckenkorn, allerdings ein solches, das für die Gehäuseschnecken unschädlich ist. Wir bekämpfen die Nacktschnecken mit Bedauern, weil wir es nicht besser wissen. Wir haben erst damit begonnen, als es erwiesen war, dass die Schnecken sonst unseren Gemüsegarten kahlfressen.

Der springende Punkt ist der: Kann ein Mensch die anderen Wesen spüren? Wenn er der kleinen Wespe zuschaut, kann er dann spüren, wie sie für sich sorgt und leben will? Wenn er durch einen Wald geht, kann er dann spüren, nicht nur denken, welch lebenserhaltendes Geschenk die Bäume sind? Es wird für die Menschheit lebensentscheidend sein, dass möglichst viele Menschen diese Spürfähigkeit entwickeln und sich von ihr auch leiten lassen. Man muss die gesamte Natur spüren können und auch die Menschen, die ein Teil der Natur sind, die selbst Säugetiere sind. Nicht nur Wespen, auch Menschen werden grundlos erschlagen. Oder sie werden bedroht und erniedrigt.

Die Menschen haben einen besonderen Auftrag. In der Bibel wird dieser Auftrag leider missverständlich ausgedrückt. Im ersten Schöpfungsbericht lässt der Autor Gott zu den Menschen, zu Mann und Frau sagen: "Seid fruchtbar und mehrt euch, füllt die Erde an und macht sie euch untertan und herrscht über die Fische im Meer und über die Vögel des Himmels und über alle Lebewesen, die auf der Erde sich regen!" (1 Mose 1,28.)

Dieser Satz ist aus dem Geist einer anderen Zivilisation geschrieben, aber er ist so und so schlimm genug. Vielleicht ging der Autor von dem Idealbild eines guten Königs aus, der das Zusammenleben seiner Untertanen so ordnet, dass alle gut leben können.

Was soll dieser Satz in der heutigen Zeit? Die Menschheit vermehrt sich in den armen Ländern hemmungslos, weil die Ungerechtigkeit zum Himmel schreit. Die Natur wird zerstört, durch die Rücksichtslosigkeit von Großkonzernen in Gemeinschaft mit korrupten Politikern und genauso durch die Verzweiflung der ganz Armen, die ums tägliche Überleben kämpfen. Viele Arten von Lebewesen sind durch Profitgier fast oder ganz ausgerottet.

Gott hat den Menschen außergewöhnliche Fähigkeiten geschenkt. Diese Fähigkeiten können eingesetzt werden, um die Erde so zu gestalten, dass das menschliche Zusammenleben aufblüht und neben dem Menschen alle Wesen leben dürfen. Die Realität ist anders. Ungerechtigkeit führt zu Hass. Hass führt zu Terror. Wie kann sich das ändern, solange die reichen Länder nicht bereit sind, die Ausbeutung der armen Länder aufzugeben, und solange die Menschen in den reichen Ländern darauf bedacht sind, dass ihnen nichts weggenommen wird? Die Abgestumpftheit wächst. Die Empfindungsfähigkeit ist zu gering. Die Demut ist zu wenig vorhanden.

Die Menschheit ist dabei, ihre eigenen Lebensgrundlagen zu zerstören. Es ist jetzt schon so, dass viel Hass zwischen Menschen, zwischen Bevölkerungsgruppen besteht und viel Gewalt angewendet wird. Wie wird das erst werden, wenn es zum Kampf um lebensnotwendige Ressourcen wie Wasser kommt, und wenn die Armen die zynisch bewachten Grenzen der reichen Länder überrennen, weil sie keine andere Chance mehr haben?

In dem Roman "Eiland" hat Aldous Huxley geschildert, wie sich auf einer abgelegenen tropischen Insel durch Meditation, Gestalttherapie und psychedelische Drogen eine ideale Gesellschaft entwickelt und schließlich zerstört wird, weil von außen der "Fortschritt" kommt. Daraus kann man ersehen: Die heutigen menschlichen Mittel werden nicht reichen, um eine Wende herbeizuführen. Und es wird nichts Erfolg haben, was nicht global übernommen wird.

In meinem Buch "Jesus für alle", das bald erhältlich sein wird, entwerfe ich im Kapitel "Die Auferstehung der Erde" ein Schichtenmodell der Erde, und zwar mit dem Grundbegriff "Integral". Dabei verstehe ich unter dem Integral das eine Ganzheit bildende Moment. Die entscheidende Schicht ist dabei das Christus-Integral, das alles ins Sein ruft und vollendet. Ich beschreibe in diesem Kapitel den kollektiven Übergang zur Transparenz, der jetzt auf der Erde notwendig ist, und gebe meiner Überzeugung Ausdruck, dass wir Menschen zu diesem Übergang viel beitragen können, dass er aber doch ohne eine besondere Emanation des Christus-Integrals nicht geschehen wird. Darum bete ich täglich um die neue Emanation des Christus-Integrals, damit die Erde nicht zugrunde geht und die Menschen in Frieden leben können.

Anmerkung vom 7. September 2010:

Die Erde wird nicht zugrunde gehen. Im Worst-Case-Szenario wird die Spezies Mensch zugrunde gehen und die Erde wird sich regenerieren. Hierzu folgendes Zitat:

"Die Gaia-Hypothese ist eine, von dem Kybernetiker und Klimatologen James Lovelock und der Mikrobiologin Lynn Margulis ausgearbeitete wissenschaftliche Konzeption des irdischen Ökosystems als lebendigem Organismus. Die Gaia-Hypothese besagt, dass unsere Erde ein intelligentes Lebewesen darstellt, das sich selbst steuert (Selbstorganisation) und optimiert. [...] Die oft falsche Interpretation der Gaia-Hypothese, dass alles eben doch nicht so schlimm ist, weil die Erde ein selbstregulierendes System ist, führt zu ökologischer und politischer Blindheit und übersieht den entscheidenden Faktor: Gaia wird überleben - aller Wahrscheinlichkeit nach auch nach einem nuklear-ökologischen Holocaust. Doch wir Menschen und unsere Lebensressourcen werden eliminiert sein." (Aus einem Artikel der Naturkost Holthausen.)

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31. Was ist heilige Schrift?  -  2. September 2009

Zunächst eine sprachliche Information. Ich sage nicht "Altes Testament", sondern "Erstes Bundesbuch". Und ich sage nicht "Neues Testament", sondern "Zweites Bundesbuch", in Übereinstimmung mit den Bezeichnungen, die die Reformierte Kirche der Niederlande verwendet.

Vieles im Zweiten Bundesbuch ist selbstgerecht und/oder gehässig und/oder unbarmherzig, vom Ersten Bundesbuch ganz zu schweigen. So, wie es ist, kann man es beim besten Willen nicht als "frohe Botschaft" verkünden. Dass die Bibel so geworden ist, wie sie ist, ist Sache der biblischen Autoren und der Gruppen, die sie repräsentieren. Das Ganze pauschal als heilige Schrift zu bezeichnen, dazu sage ich nein. Und es ist doch heilige Schrift, denn die heilige Schrift ist darin verborgen, wie Goldkörner im Sand. Man kann sich davon berühren lassen, kann sich dem hingeben, kann die Goldkörner freilegen und polieren.

Wenn zum Beispiel ein Gleichnis der Evangelien vorgelesen wird, das nach meiner Meinung im Sand endet, so habe ich als typische Reaktion eines Menschen gehört: "Das ist schwer zu verstehen." Man wagt nicht, einfach nein zu sagen.

Den Sand muss man weglassen oder ändern. Ein Beispiel für Weglassen ist das Buch "Taizé - Gemeinsame Gebete für das ganze Jahr". In diesem Buch wird bei jeder Andacht ein Psalm wiedergegeben. Es werden aber Verse weggelassen, und die Verse werden teilweise umgestellt. Beispiele für Ändern sind meine Bearbeitungen der Bibel. Welche biblischen Texte ich insgesamt bearbeitet habe, habe ich in meinem Baustein 17. Warum ich biblische Texte bearbeite angeführt.

Das Weglassen und Umstellen von Versen geht bei einigen Psalmen gut, aber es geht nicht bei der ganzen Bibel. Es würde nur ein Torso übrigbleiben.

Die Theologie beginnt nicht nach der Bibel, sondern in der Bibel, und diese Theologie ist durchaus menschlich, z.B. als Kriegstheologie, Opfertheologie, apokalyptische Theologie usw.

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30. Vergeltung und Subtileres  -  1. September 2009

Mt 5,39 lautet in meiner Bearbeitung: "Vergeltet Böses nicht mit Bösem." Im Sinn von Mahatma Gandhi und Martin Luther King könnte man auch sagen: "Reagiert auf Gewalt nicht mit Gewalt." Das kann aber nach meinem Verständnis nicht heißen, dass man sich und andere Menschen nicht schützen soll.

Wenn man ganz sicher ist, dass das, was der andere Mensch getan hat, böse ist, dann ist es gut, die böse Tat abzulehnen. Aber es ist nicht gut, den ganzen Menschen als böse zu bezeichnen und abzulehnen.

Als eine verhängnisvolle Verkettung des Bösen bringe ich das folgende Beispiel aus dem Bürgerkrieg in Sierra Leone: "Die Revolutionäre Vereinigte Front nahm Kinder mit und brachte sie dazu, schreckliche Dinge zu tun wie das Töten von Familienmitgliedern. Diese Kindersoldaten waren besonders grausam, denn sie hatten nie etwas anderes als Gewalt kennengelernt. Für sie war das Leben kein Wert, und das Töten begann ihnen Spaß zu machen. Wenn sie Leute amputieren wollten, fragten sie sie, ob sie lange Ärmel oder kurze Ärmel wollten. Lange Ärmel bedeutete, dass die Hand abgeschnitten wurde. Kurze Ärmel bedeutete, dass der ganze Arm abgeschnitten wurde." (Aus: "The High Price of Diamonds" von Tehtena Tsegaye, Übersetzung von mir.)

Es gibt aber auch Taten, die nicht böse sind, sondern die einem einfach gegen den Strich gehen. Solche Taten werden oft als böse bezeichnet, das heißt, das Böse wird in sie hineinprojiziert. Ein typisches Beispiel ist die Verfolgung von sogenannten Häretikern durch die katholische und die evangelische Kirche. In vergangenen Jahrhunderten wurden abweichende Einzelpersonen und ganze Gruppen blutig, grausam und wortbrüchig (wie im Fall von Jan Hus, dem freies Geleit zugesichert wurde und der dann doch verbrannt wurde) verfolgt. Die Glaubenskongregation der römisch-katholischen Kirche, die die Nachfolgeorganisation der Inquisition ist, erniedrigt und verfolgt sogenannte Häretiker bis zum heutigen Tag, soweit die Restmacht, die ihr verblieben ist, das zulässt.

Daher ist es gut und notwendig, das oben angeführte Bibelzitat zu erweitern: "Unterdrückt das nicht, was euch gegen den Strich geht." Bzw.: "Schädigt den Menschen nicht, der etwas tut, das euch gegen den Strich geht." Voltaire soll einmal gesagt haben: "Ich verabscheue Ihre Meinung. Aber ich würde mein Leben dafür geben, dass Sie sie äußern dürfen." Auch das kann nicht heißen, dass man sich und andere Menschen und die von der menschlichen Maßlosigkeit gequälte Erde nicht schützen soll, wenn etwas schief läuft. Doch die Gefahr ist groß, dass man für das, wogegen man sich sträubt, blind wird, und dass man den Menschen, der das tut, gar nicht mehr richtig sehen kann.

Mir ist noch etwas Subtileres aufgefallen. Ein Beispiel: Ich sitze mit anderen Leuten um einen Tisch. Jemand sagt etwas. Wenn ich nun denke: "Ich sehe das anders", habe ich schon den Kontakt mit diesem Jemand, das Gespür für ihn verloren. Wenn ich mich mit innerer Stille auf den anderen Menschen einstelle, werde ich etwas von ihm und über ihn verstehen, das ich sonst nie mitgekriegt hätte. Anschließend kann ich ja sagen, was ich sehe (nicht, wie ich das sehe), oder ich kann schweigen (wenn ich meine, es ist jetzt nicht der richtige Augenblick, das zu sagen).

Gegen die Art und Weise, wie vieles Zwischenmenschliche in der Geschichte gelaufen ist und auch heute noch läuft, will ich die Vielfalt der menschlichen Talente und Blickwinkel sehen und wertschätzen. Das ist die Aufgabe meines Buches "Jesus ohne Dogmen", an dem ich gerade arbeite.

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29. Ein Fleisch und ein Geist  -  15. August 2009

Im zweiten Schöpfungsbericht der Bibel steht, dass Gott die Frau aus einer "Rippe" des Menschen schuf. So lautet es in den meisten Bibelübersetzungen. Doch das hebräische Wort tsäla heißt nicht nur Rippe, es heißt auch Seite, und in dieser Bedeutung wird es in der Bibel sonst verwendet. Gott macht also aus einer Seite des Menschen die Frau, und der Mensch, von dem die Seite genommen wurde, erkennt sich als der Mann, und so entstehen die beiden Seiten des Menschen, der Mensch als Mann und der Mensch als Frau. Daraufhin ruft der Mann erfreut aus: "Diese endlich ist es: Gebein von meinem Gebein und Fleisch von meinem Fleisch!"  "Darum verlässt ein Mann seinen Vater und seine Mutter und hängt seiner Frau an, und sie werden ein Fleisch sein." (1 Mose 2,23-24.)

Mit Fleisch wird hier ihre Einheit bezeichnet. Zur vollständigen Einheit gehört allerdings, dass sie auch ein Geist werden. Ein Fleisch und ein Geist, ein Fühlen und ein Tun, jetzt und bis zum Tod und über den Tod hinaus, dann in einer Existenz, in der das „Fleisch“ verwandelt ist.

Geht da nicht die Individualität verloren? Werden sie so nicht zu einem Doppelmonster, in dem weder er noch sie ihre eigentlichen Anlagen, ihren besonderen Lebensweg entfalten können? Weit gefehlt. Es ist nicht wie ein Tiegel, in dem alles homogenisiert und eingeschmolzen wird, sondern in dem Tiegel entstehen neue und überraschende Formen beider, die anders gar nicht oder jedenfalls nicht in solcher Schönheit entstanden wären.

Diesen Vorgang, der zugleich ein Zustand ist, nenne ich Glück.

Ergänzung vom 29. Februar 2012:

Gerhild, meine Frau, hat mich unlängst auf Folgendes aufmerksam gemacht: Es kann doch aber sein, dass entweder der Mann oder die Frau früh stirbt und dass dann entweder die Frau oder der Mann allein zurückbleibt, womöglich mit kleinen Kindern.

In diesem Fall ist es erstrebenswert, dass sich wieder ein ebenbürtiger Partner oder eine ebenbürtige Partnerin findet. Das neu gebildete Paar kann nur dann ein Fleisch und ein Geist werden, wenn der oder die Verstorbene vollständig losgelassen wird. Wenn die neue Beziehung wirklich gelingt, geht sie über den Tod hinaus.

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28. Projektionen auf Gott  -  14. August 2009

Ich gehe von folgenden Basisannahmen aus:
1. Gott ist, er ist jenseits von Sein und Nichtsein da.
2. Das Wort "Gott" ist männlich; Gott selbst ist jedoch männlich, weiblich und sächlich.

Was wurde nicht alles über Gott gesagt:
Er ist ein idealer König;
er ist ein Vater;
er ist ein Rächer;
er gibt Schutz und Geborgenheit;
und vieles andere.

Es gibt ein Bilderverbot in Bezug auf Gott:
In den zehn Geboten der Bibel;
im Calvinismus;
im Islam.

Was ist also zu tun? Sich Gott vollständig zu öffnen, mit grenzenlosem Vertrauen, mit einer großen Aufmerksamkeit, die Tag und Nacht immer wieder aufgenommen wird. Das hat ungeahnte Auswirkungen.

Es ist nicht so, dass auf diese Weise das eigene Selbst auf Gott projiziert wird. Das eigentliche, erstarkte Selbst ist das vollkommen hingegebene Selbst, das mit Gott eins wird.

Teresa von Ávila hat das gewusst, und sie hat gesagt: "Sólo Dios basta." Gott allein genügt.

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27. Schatten und Licht  -  12. August 2009

Diese beiden Begriffe verwende ich hier eigenständig, nicht im strengen Sinn der analytischen Psychologie.

Ich lese gerade den Roman "Gigamord" von Christoph Kühnhanss. Auf Seite 137 lässt er einen Jonas sagen: "Es ist längst etwas Neues zum Leben erwacht. Etwas, das weit über dem Einzelnen steht: Es ist das lebendige Monster Menschheit. Sie ist eine kopflose Spinne, die ihr tödliches Netz über den ganzen Planeten gesponnen hat, in dem alles zugrunde geht. Die Hölle, das sind wir, nicht die vielen Einzelnen, sondern das Wir aus uns allen zusammen. Dieses gewaltige, giga-köpfige Riesenmonster, dieses Giga-Subjekt, das nicht denkt, fühlt und bewusst handelt und doch will."

In diesem Zitat wird eine Bewegung geschildert, die in den Abgrund führt, die dabei ist, die Erde zu zerstören und die (nicht nur) dem Autor ernste Sorgen bereitet. Im Gegensatz dazu beschreibe ich in meinen Büchern das Leben, das unzerstörbar ist, das mit dem Tod nicht endet.

Vor einigen Tagen habe ich im Traum gesehen, wie ich durch eine Wohnung gehe, in der ich früher gewohnt habe, die früher schön und neu und gepflegt war und nun alt, verwahrlost und verkommen ist. Der Traum macht mich darauf aufmerksam, dass es in meinem Leben etwas gibt, das vernachlässigt wird. Er zeigt mir, dass es eine Lichtseite und eine Schattenseite im menschlichen Leben gibt. Er macht auf etwas aufmerksam, das im Schatten liegt.

Der Gedanke ist nun nicht von der Hand zu weisen, dass es nicht nur eine Lichtseite und eine Schattenseite der menschlichen Einzelpersönlichkeit gibt, sondern auch eine Lichtseite und eine Schattenseite der Menschheit als Ganzes. Christoph Kühnhanss weist als ein Warnender auf die Schattenseite der Menschheit hin, auf das, was nicht ins Licht gehoben wird und daher ruinöses Potenzial besitzt. Ich weise auf die Lichtseite der Menschheit hin, die reinigendes, heilendes und heiligendes Potenzial besitzt.

In meiner Bearbeitung der synoptischen Evangelien lasse ich Jesus sagen: (Siehe Mt 5,14-16; Mk 4,21-22; 9,49; Lk 8,16-17; 11,33.)

"Meine Jüngerinnen und Jünger, die von Herz zu Herz mit mir verbunden sind, sind das Licht der Welt, wie auch ich das Licht der Welt bin. Man zündet keine Öllampe an und stülpt einen Waschtrog darüber, sondern man setzt sie auf das Lampengestell, damit der ganze Raum beleuchtet wird. Also lasst euer Licht leuchten, damit die Menschen durch eure Worte und Taten das Reich Gottes erfahren können. Seid wie eine Stadt, die oben auf einem Berg liegt und weithin sichtbar alle Leute einlädt."

"Und bedenkt, dass ihr nichts zu verbergen habt. Denn es ist nichts verborgen, was nicht offenbar werden wird, und es ist nichts geheim, was nicht ans Licht kommen wird."

"Macht es wie das Öl in der Lampe. Lasst euch vom Feuer der Liebe verzehren, bis nichts mehr von euch übrig ist. So wird alles bewahrt, was ihr je gewesen seid und was ihr seid."

Das, was ich im letzten Absatz geschrieben habe, meine ich wörtlich, und ich bin auf dem Weg dazu. Niemand braucht Angst zu haben, dass in der vollständigen Hingabe seine Persönlichkeit ausgezehrt wird. Im Gegenteil, sie erfährt eine ungeahnte Bereicherung.

Und einen Roman wie "Gigamord" zu schreiben ist ohne Hingabe nicht möglich.

Feedback von Christoph Kühnhanss:

Die Jesuszitate treffen meine Grundintention für "Gigamord" ins Herz: Ich will ja nicht die ganze Menschheit verteufeln, sondern über diesen Umweg dazu aufrütteln, genau auf das sich zu besinnen, was uns Menschen so einzigartig macht: Die Fähigkeit zu Mitgefühl, zu Liebe, zu Nachsicht, zur Kunst, zur Philosophie, zum Licht.

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26. Für Mathematiker  -  9. August 2009

Gegeben sei ein Weltall W, das von einem X ins Leben gerufen und ständig am Leben erhalten wird. Dieser X hat in dem Weltall eine Entwicklung in Gang gesetzt, die zu immer größerer Bewusstheit führt, sodass das Leben zu sich selbst erwacht, und er hat dafür gesorgt, dass das Leben in einer ganz besonderen Art und Weise in der Gattung Y erwacht. Dieser X hat einen Z ε Y in die Welt geschickt, der zugleich die Schaffenskraft s von X ist, also

        Z = s(X) mit Z ε Y.

So hat dieser X eine Initialzündung i zuwege gebracht, die es ermöglicht, dass seine Schaffenskraft in allen Menschen erwacht, also gilt zugleich
        Z
= i(X) mit Z ε Y.

Und wie viel Zeit auch immer vergeht, bevor die Bewegung zu diesem Ziel so richtig in Schwung kommt, sie ist nicht aufzuhalten. Exemplare der Gattung Y, die bereit sind, die von Z für alle Zeiten und Zustände des Weltalls W angestoßene Bewegung weiterzuführen, sind die Nachfolger von Z, also
        Z
= n(Z) bzw.
        Z
= n(s(X)) und Z = n(i(X)) mit v>1 und v aus der Menge N der natürlichen Zahlen.

Für alle Mitglieder A der Gattung Y gilt nun Folgendes: X hat das Weltall W so angeordnet, dass alle A in die Bewegung der Z mit hineingenommen werden, sodass irgendwann für alle A gilt
        A
= m(Z) bzw.
        A
= m(n(s(X))) und A = m(n(i(X))) , wobei
        v>0 und v aus der Menge N der natürlichen Zahlen und
        u>0 und u aus der Menge N der natürlichen Zahlen.

Ist das nicht ein schönes Weltall W? Alle A werden letzten Endes heimgeholt zu X, alle A sind letzten Endes von der Schaffenskraft s des X erfüllt und führen die Initialzündung i weiter zu einer ungeahnten Fülle des Lebens. Kein A geht verloren. Und damit ist zugleich erreicht, dass überhaupt kein Detail des Weltalls W je verloren geht. Die Erde wird schon lange nicht mehr bestehen, aber das Integral
        ∫(A
) = ∫m(n(s(X)))dX und ∫(A) = ∫m(n(i(X)))dX
ist das eigentliche, unzerstörbare Leben.

Das ist mein Weltall. In diesem Weltall lebe ich, und in diesem Weltall leben wir alle. Dafür gebe ich mich hin. Wie auch immer es auf der Welt aussehen mag, welche Schrecken auch kommen, diese Gleichungen werden erfüllt.

Und zum Abschluss noch die Auflösung dieses mathematischen Beispiels:
        X ist Gott.
        Die Gattung Y ist der Mensch.
        Z
ist Jesus.

Feedback von Paul Weitzer:

Dein Weltall gefällt mir sehr gut. Besonders gelungen finde ich das Integral: Denn dadurch wird wirklich eine unendliche Summe von m(n(s(X))) dargestellt, multipliziert jeweils mit dem unendlich kleinen, aber doch sehr wirksamen dX, das man als den göttlichen Funken in uns allen bezeichnen könnte...

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25. Bibelstellen unterscheiden  -  6. August 2009

Für meinen Blick auf Bibelstellen habe ich ein Kriterium. Stellen, die mit dem Leben und der Liebe übereinstimmen, nenne ich zeitlos. Stellen, die nicht mit dem Leben und der Liebe übereinstimmen, nenne ich zeit- und kulturbedingt. Ich meine hier das Leben und die Liebe, die über alle Grenzen gehen.

Zeitlos sind für mich Texte, zu denen auch ein heutiger Mensch sagen kann: "Dieser Text endlich ist es: Gebein von meinem Gebein und Fleisch von meinem Fleisch!" (Nach 1 Mose 2,23.)

Zeit- und kulturbedingt nenne ich insbesondere alles Apokalyptische, in grauenhaften Kämpfen zwischen Gut und Böse Schwelgende, alle Bösen Verdammende.

Wenn man die apokalyptischen Prophezeiungen ablehnt, macht man dann nicht aus dem unfassbaren Gott einen freundlichen Nikolaus?

Projizieren wir nichts auf Gott. Projizieren wir insbesondere keine menschlichen Hass- und Rachegedanken auf ihn. Wenn wir das bleiben lassen, können wir das, was an der Bibel heilige Schrift ist, viel schöner zum Leuchten bringen.

Als Beispiel für einen zeit- und kulturbedingten Text bringe ich eine Regel der frühen judenchristlichen Kirche, die in Mt 18,15-17 steht und nicht dem Leben und der Liebe dient:
"Sündigt aber dein Bruder an dir, so geh hin und weise ihn zurecht zwischen dir und ihm allein. Hört er auf dich, so hast du deinen Bruder gewonnen. Hört er nicht auf dich, so nimm noch einen oder zwei zu dir, damit jede Sache durch den Mund von zwei oder drei Zeugen bestätigt werde. Hört er auf die nicht, so sage es der Gemeinde. Hört er auch auf die Gemeinde nicht, so sei er für dich wie ein Heide und Zöllner."

In meiner Bearbeitung der synoptischen Evangelien habe ich diese Stelle durch Folgendes ersetzt:
"Wenn du zu einer Gemeinschaft gehörst, und von einem Bruder oder einer Schwester geschieht dir oder einem Menschen, für den du verantwortlich bist, ein klares Unrecht, so sprich dich mit dem Bruder oder der Schwester aus. Wenn ihr es nicht alleine schafft, so soll jeder von euch noch eine Vertrauensperson hinzuziehen. Wenn auch das nichts nützt, überlege: Handelt es sich um eine Sache, die vor die versammelte Gemeinschaft gebracht werden muss, oder sind liebevolle Geduld und Schweigen angebracht? Wenn du es vor die versammelte Gemeinschaft bringst, dann versuche, dort eine Verständigung zu erreichen. Wenn das nicht gelingt, so bewahre trotzdem ein offenes Herz für den Bruder oder die Schwester, die dir Unrecht getan haben. Schütze dich und die Menschen, für die du verantwortlich bist, aber verachte niemand und schließe niemand aus der Gemeinschaft aus."

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24. Die Kraft im Becken  -  6. August 2009

Neulich war ich bei meinem Sohn Axel eingeladen, und er zeigte mir ein Röntgenbild seines Beckens. Von diesem Bild ging für mich eine starke Kraft aus.

Im Zendo des Dürckheim-Zentrums in Todtmoos-Rütte befindet sich ein Rollbild, das ein Skelett in Meditationshaltung zeigt. In der Beckengegend ist eine weiße Lotosblume mit acht Blütenblättern, darüber das Sanskrit-Schriftzeichen „A“ in Gold und dahinter der volle Mond.

Bei einer Therapiestunde im Dürckheim-Zentrum im Juni 1991 habe ich den goldenen Kern in meinem Becken bewusst erlebt.

Im Hinduismus und im Buddhismus ist es Tradition, auf Friedhöfen zu meditieren. Geschieht das, um die Vergänglichkeit zu erfahren? Man erfährt die Unvergänglichkeit, in der Kraft des Skeletts und besonders in der Kraft des Beckens.

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23. Bibelstellen beweisen nichts  -  22. Juli 2009

Bibelstellen beweisen nichts, und das ist auch nicht ihre Aufgabe. Ich fasse Bibelstellen nicht als Beweise, sondern als Beispiele auf. So etwa beim Gespräch Jesu mit den Sadduzäern über die Auferstehung der Toten. Im Markus-Evangelium sagt Jesus: "Was aber die Auferweckung der Toten betrifft: Habt ihr nicht im Buche Moses bei der Erzählung vom Dornbusch gelesen, wie Gott zu Mose die Worte gesprochen hat (2.Mose 3,6): 'Ich bin der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs'? Gott ist doch nicht der Gott von Toten, sondern von Lebenden." (Mk 12,26-27.)

Ich nehme diese Bibelstelle als Beispiel dafür, dass es eine Auferstehung (Auferweckung) der Toten gibt, und dass die Auferstehung (Auferweckung) nicht mit einem Endgericht am Ende aller Tage in Verbindung gebracht zu werden braucht.

Biblischer Kontext: Abraham, Isaak und Jakob sind nach Jesus für Gott lebendig, also nicht im Totenreich.

Mein Kontext: Die Auferstehung (Auferweckung) führt über Zeit und Ewigkeit hinaus. Für das Heraus-bilden  der Wirklichkeit, die mit dem Tod nicht endet, habe ich in meinem Buch "Jesus für alle" im Kapitel "Jesus heute" eine Modellvorstellung entwickelt. Das Buch wird voraussichtlich Ende 2009 im Handel zu haben sein.

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22. Verständnis und Kontext  -  22. Juli 2009

Im Schlusskapitel des Buches "Abgeschrieben, falsch zitiert und missverstanden - Wie die Bibel wurde, was sie ist" von Bart D. Ehrman habe ich Folgendes gefunden: Die Leserinnen und Leser "können die Texte nur verstehen, wenn sie sie vor dem Hintergrund ihres sonstigen Wissens deuten. Sie erklären ihre Bedeutung, indem sie die Worte des Textes 'mit anderen Worten', den eigenen, umformulieren. Wenn Leser einen Text mit anderen Worten formulieren, ändern sie jedoch die Worte des Textes. Das geschieht beim Lesen automatisch." Nach Bart D. Ehrman bedeutet daher "einen Text zu lesen notwendigerweise auch, einen Text zu verändern."

Das Verstehen zwischen Menschen ist immer kontextabhängig.

Erstes Beispiel: Im Februar und im Mai 2009 habe ich zusammen mit einem Theologen Bibelabende gestaltet. An diesen Abenden haben wir die Teilnehmerinnen und Teilnehmer Beispiele aus meinen Bibelbearbeitungen, die in meinen Büchern "Du bist da" und "Du bist Liebe" veröffentlicht worden sind, mit den Originaltexten vergleichen lassen. Dabei hat sich für mich ein Verständigungsproblem ergeben. Ich sehe davon ab, dass jeder Mensch, der im Raum war, seinen eigenen Kontext hatte. Ich betrachte jetzt nur zwei Arten von Kontext: den Kontext eines erfahrenen Besuchers von Bibelrunden und den Kontext eines Autors, der die Bibeltexte radikal verändert hat. Für diese beiden Abende habe ich Texte ausgewählt, bei denen meine Veränderungen nicht so auffallen, und ich habe keine Einführung in meinen Kontext gegeben. Es kam zu keiner Übereinstimmung.

Zweites Beispiel: Unlängst saß ich mit ein paar Freundinnen und Freunden beisammen, und wir sprachen über kirchliche Fragen. Unter anderem erzählte ich (als Katholik), dass meine Frau und ich seit einiger Zeit einmal monatlich den Gottesdienst mit Abendmahl besuchen, der in der evangelischen Kirche in unserem Ort stattfindet. Eine Frau pflichtete mir bei, aber mit verschiedenem Kontext. Ihr Kontext war: Sie ist auch zum Dialog mit anderen Konfessionen bereit. Mein Kontext war: Wenn ich bei den Evangelischen bin, bin ich einer von ihnen.

Wie ist es also überhaupt möglich, einander zu verstehen?

Bei meiner Bearbeitung biblischer Texte bin ich von einem doppelten Kontext ausgegangen: einerseits vom Kontext der antiken Autoren, die ich durch Studium von Kommentaren zu verstehen versuchte; andererseits vom Kontext meiner inneren Übereinstimmung mit dem Geist Gottes in mir und mit meiner Frau.

Bei jedem Gespräch zwischen Menschen ist die Kontextfrage präsent. Wenn Menschen wirklich das, was sie hören, sofort in ihre eigenen Worte umformulieren (wie Bart D. Ehrman sagt), so ist das Verständigungsniveau niedrig. Allerdings ist jede verbale Kommunikation von einer wortlosen Kommunikation unterlegt. Die Menschen vermitteln einander mehr als nur Worte. Und hier besteht Hoffnung, aufmerksam für den Kontext des anderen Menschen zu werden. Genaueres zu dieser Frage habe ich in meinem Buch "Jesus für alle" im Kapitel "Die Auferstehung der Erde" dargelegt. Das Buch wird voraussichtlich Ende 2009 im Handel zu haben sein.

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21. Atem - Wind - Geist - Kraft  -  19. Juli 2009

Ich atme aus und ich atme ein. Ich atme aus und ich atme ein. 20.000-mal pro Tag, 7.500.000-mal pro Jahr, und wenn mein Leben lang ist, dann 600.000.000-mal in meinem ganzen Leben. Aber irgendwann folgt auf das Ausatmen kein Einatmen mehr. Und was ist dann?

Ich habe meinen Atem von Gott bekommen, und ich habe meinen Lebensatem von Gott bekommen. Im Atem drückt sich der Lebensatem aus. Der Lebensatem geht über den Atem hinaus. Der Atem beginnt zu einer Zeit und endet zu einer anderen Zeit. Der Lebensatem erwacht einmal in mir und verlässt mich nie wieder. Er ist der Zeit enthoben, und nach meinem Tod ist er der Ewigkeit enthoben.

Wie der Atem ist der Wind. Der Wind kommt und geht, überraschend und unabhängig von unserer Einflussnahme.

Im Frühjahr habe ich ein Finkenmännchen beobachtet. Es donnerte immer wieder gegen die Fenster-scheibe, um den Feind zu vertreiben. Es erkannte nicht, dass der Vogel im Spiegelbild es selber war.

Wenn ich mein Spiegelbild irgendwo sehe, so weiß ich, dass ich es selber bin. Man spricht von einer höheren geistigen Fähigkeit, die sich im Lauf der Evolution herausgebildet hat.

Wie der Wind ist der Geist. Man spricht vom Geist Gottes, der die Menschen aufsucht, um in ihnen zu wohnen. Der Geist ist unverfügbar. Damit er seine Wirkung entfalten kann, ist Hingabe notwendig.

Der Geist zeigt sich als unspezifische Kraft, und überall dort, wo Menschen es zulassen, zeigt er sich unverzüglich als eine entschiedene, gerichtete Kraft, als eine Kraft, für die es keine Hindernisse gibt, als eine Kraft, die auch in Bitternissen und Verzweiflungen immer das bleibt, was sie ist: ein Füllhorn des Glücks und der Liebe.

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20. Wer oder was ist Gott?  -  18. Juli 2009

Ich gehe davon aus, dass es möglich ist, sich in Gott zu vertiefen. In ihm fallen alle Aspekte zusammen in einen Aspekt, der zugleich kein Aspekt ist. Er ist derjenige Unbegreifliche, den wir als ein Du begreifen können und der sich uns als ein solches in seiner ganzen Fülle schenkt, in einer Fülle, die so überwältigend ist, dass kein Wunsch mehr offen bleibt, dass nichts mehr außerhalb ist, das Schrecklichste und das Schönste nicht, dass nur noch eine alles gestaltende und alles verwandelnde Kraft da ist, dass nichts mehr sonst da ist als diese unendliche Leere, in der alles ist und die uns aufatmen lässt, voll Glück, wirklich und restlos daheim zu sein.

In Gott sind drei Momente. Ein immerzu beglückendes, schenkendes, uns bis in die tiefste Tiefe erfassendes. Ein immerzu gestaltendes, hervorbringendes und vollendendes. Ein alles mit Kraft und Zuspruch erfüllendes. In allen drei Momenten ist Gott der alles in die Freiheit führende, uns Menschen eine ganz spezielle Verantwortung gebende. In seinen Momenten ist Gott eine Einheit oder besser gesagt eine Nullheit. Als Einheit ist er eine Nullheit. Als nichts ist er alles. Als ein Er ist er eine Sie und ein Es, indem er alles übersteigt und sich zutiefst vertraut macht mit uns. Er hat uns Menschen die Aufgabe gestellt, ganz in ihm aufzugehen und in diesem Aufgehen unsere höchste Verantwortung zu begreifen, nämlich die unendliche Kostbarkeit aller Menschen und unserer gesamten Lebenswelt zu sehen und dafür zu wirken, unserer gesamten Lebenswelt, die viel mehr ist als unsere Lebenswelt, denn sie gehört nicht uns, sondern wir gehören ihr in Gott.

Wollen wir das? Es sieht nicht immer so aus. Vieles, was in der Welt geschieht, scheint dem Hohn zu sprechen. Und wir haben quälende Ahnungen, dass furchtbare Zusammenbrüche möglich sind. Doch vergessen wir nicht, dass Gott alles in allem ist. Zu ihm können wir heimkehren. In ihm können wir ruhen, in einer Ruhe, die die alles umfassende Gestaltungskraft ist. Sie wird dann zu unserer Gestaltungskraft. Klinken wir uns da ein.

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19. Die Sonne am Horizont  -  12. Juli 2009

Im März 2003 war ich mit einer kleinen Schweizer Gruppe zusammen mit Beduinen und Kamelen zehn Tage lang in der tunesischen Wüste unterwegs. Wir hatten keine Zelte mit und haben uns jeden Abend möglichst windgeschützte Stellen gesucht, um unsere Schlafsäcke für die Nacht auszubreiten. Die Nähe des Sternenhimmels in der Nacht und die majestätische Stärke der Sonne beim Sonnenaufgang werde ich nie vergessen. Es war mir an jedem Morgen, als würde die Erde neu geboren.

Dieses Gefühl hat mich nie wieder verlassen. Ich wohne jetzt in einer kleinen Wienerwaldgemeinde. Und wenn meine Frau und ich am Morgen mit den Hunden durch den Wald gehen, so sehe ich wieder die neugeborene Erde, die uns Menschen als ein kostbares Geschenk in die Hände gelegt worden ist und für die wir eine ganz hohe Verantwortung tragen.

Wenn ich durch den Wald gehe, so spüre ich auch ganz intensiv, wie der Wald mit seinen Bäumen mich regeneriert und aufleben lässt.

Der theoretische Gedanke, dass wir für die Erde und die zukünftigen Generationen der Menschheit Verantwortung tragen, dass der Wald notwendig ist, um CO₂  aufzunehmen und O abzugeben, genügt nicht. Erst wenn viele Menschen spüren, dass die Erde an jedem Morgen neu geboren wird, dass der Wald mit seinen Bäumen sie regeneriert und aufleben lässt, wird die Gattung Mensch ihr Verhalten ändern, mit dem sie jetzt an dem Ast sägt, auf dem sie sitzt.

Daher habe ich in einem der Gebete, die ich bearbeitet habe, geschrieben:

Gott, du bist da.
Sende deinen Geist
in die Herzen aller Menschen.
Lass sie deine Liebe weitergeben,
dann verheilen die alten Wunden,
und die Erde wird neu.

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18. Von Herz zu Herz und die Folgen  -  9. Juli 2009

Cyprian von Karthago hat im dritten Jahrhundert n.Chr. gesagt: "Christianus alter Christus" - der Christ, ein anderer Christus. Seit geraumer Zeit erneuere ich meine Weihe an das Herz Jesu Tag für Tag. Meine Verbundenheit mit Jesus von Herz zu Herz wird immer tiefer. Das führt dazu, dass etwas von seinem Wesen in meinem Wesen aufleuchtet wie ein Licht, aufblüht wie eine Blume. Sein Wesen ist die vollkommene Hingabe an Gott, den Vater, und an alle Menschen.

Seit geraumer Zeit erneuere ich meine Weihe an das Herz Marias Tag für Tag. Meine Verbundenheit mit Maria von Herz zu Herz wird immer tiefer. Das führt dazu, dass etwas von ihrem Wesen in meinem Wesen aufleuchtet wie ein Licht, aufblüht wie eine Blume. Ihr Wesen ist es, alles Weibliche aufleben zu lassen und alle Menschen zu Jesus hinzuführen.

Seit geraumer Zeit erneuere ich meine Weihe an das Herz Gerhilds, meiner Frau, Tag für Tag. Meine Verbundenheit mit Gerhild von Herz zu Herz und mit allen Fasern meines Seins wird immer tiefer. Das führt dazu, dass etwas von ihrem Wesen in meinem Wesen aufleuchtet wie ein Licht, aufblüht wie eine Blume. Ihr Wesen ist es, die Einheit zwischen einem Mann und seiner Frau in einer unüberbietbaren Weise darzustellen und die Welt besser zurückzulassen, als sie sie vorgefunden hat.

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17. Warum ich biblische Texte bearbeite  -  8. Juli 2009

Biblische Texte werden von der Theologie als "Wort Gottes in menschlicher Sprache" bezeichnet. Ich sehe biblische Texte genauso an wie andere Texte. Ich bestreite nicht, dass uns in ihnen das Wort Gottes übermittelt wird. Aber ich kann nicht davon absehen, dass es oft vom Menschlichen überwuchert wird. Manches ist Ausdruck des altorientalischen Weltbildes. Manches ist zeitbedingt. Manches ist Privatmeinung der Autoren, vor allem in den Briefen. Manches ist drohend und nicht fördernd. Manches ist Ausdruck von Hass. Manches ist für mich die verkehrte Welt.

Das zentrale Beispiel der verkehrten Welt ist für mich der Augenblick, wo Abraham das Messer hebt, um seinen Sohn Isaak zu schlachten. Den Text habe ich um 180 Grad umgedreht. In meiner Fassung zeigt Abraham seine Liebe zu Gott nicht dadurch, dass er bereit ist, seinen Sohn umzubringen, sondern dadurch, dass er mit Gott zu streiten beginnt.

In meiner Fassung geht es so weiter: "Und die Stimme sagte: Weil du mir die Stirne geboten hast und weil du deinen einzigen Sohn nicht geopfert hast, will ich dich reichlich segnen und deine Nachkommenschaft so zahlreich machen wie die Sterne am Himmel und wie die Sandkörner an den Ufern der Meere. Wer wie du jeden Menschen als kostbar, als Abbild Gottes und Kind Gottes sieht und behandelt, darf sich als dein Nachkomme erkennen, aus welchem Volk auch immer er stammt und in welchem Land auch immer er lebt. Deine Nachkommen werden die Friedensstifter sein in allen Zeiten, und sie werden den Hass besiegen."

Diese Bibelstelle ist für mich der Punkt, wo die unselige Seite der Bibel aus den Angeln zu heben ist. Die Sätze "Lege deine Hand nicht an den Knaben und tu ihm nichts zuleide! Denn jetzt weiß ich, dass du gottesfürchtig bist, weil du mir deinen einzigen Sohn nicht vorenthalten hast." (1 Mose 22,12) kommen in meiner Fassung nicht vor. Damit fällt auch die Möglichkeit weg, sie darauf zu beziehen, dass Gott, der Vater, seinen einzig geborenen Sohn zum Schlachten am Kreuz hingegeben hat, und die christliche Opfertheologie ist nicht mehr darauf aufzubauen.

Warum bearbeite ich biblische Texte? Weil ich zur Befreiung aus solchen Engführungen beitragen will. Weil ich den Gehalt der Bibel zum Leuchten bringen will, der für alle Menschen aller Weltanschauungen Bestand hat. Weil ich eine Botschaft ohne Grenzen weitergeben will, wie der Titel eines meiner Bücher besagt. Weil ich weiß, dass Gott und Jesus in Gott bedingungslos für alle und alles da sind, ohne zu fragen: "Bist du getauft?"

In diesem Sinn habe ich folgende biblischen Texte bearbeitet:
Den Opfergang Abrahams;
die Psalmen;
das Hohe Lied;
einen Abschnitt aus dem dritten Kapitel des Predigers;
die drei synoptischen Evangelien (Markus, Matthäus und Lukas);
das zweite Kapitel der Apostelgeschichte;
das Johannesevangelium;
die Johannes-Briefe;
die Offenbarung des Johannes;
das Hohe Lied der Liebe aus dem ersten Korintherbrief.

Die zentrale Eigenschaft, die den Menschen heilt und heiligt, ist Hingabe. Die völlige Hingabe heißt auf Arabisch islām. In dem Moment, wo die Hingabe vollkommen wird, erreicht sie ihr Ziel, auch dann, wenn sie sich nicht an den Gott der Bibel oder den Gott des Qur'an wendet.

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16. Dazu bin ich da  -  28. Juni 2009

Kein Mensch geht verloren. Kein Mensch wird vernichtet. Kein Mensch wird jenseits von Zeit und Ewigkeit in einem Totenreich (hebräisch Scheol, griechisch Hades) festgehalten.

Jeder Mensch hat verschiedene Seiten; manche Psychotherapeuten sprechen sogar von verschiedenen Persönlichkeiten. "Als Jung den Begriff des kollektiven Unbewussten einführte, verneinte er keinesfalls dessen persönliche Komponente, die er folgendermaßen auslegte: In ein und demselben Menschen können quasi 'mehrere Persönlichkeiten' enthalten sein, was eine ganz normale Erscheinung sei." (Aus Dr. Alexandre Strasny, "Geheimnisse der alternativen Medizin - Ein Handbuch für passionierte Heilpraktiker und beharrliche Patienten".)

Was sich in nichts auflösen kann, ist eine Seite eines Menschen, niemals der Mensch als ganzer. Jeder Mensch ist heilig, unzerstörbar, gehört zu Gott. Himmel und Hölle sind Durchgangsstadien. Dort bleibt man nicht oder nur solange, bis das Unzerstörbare in seiner ganzen Herrlichkeit erstrahlt, jenseits von Zeit und Ewigkeit.

Gott erschafft alles. Er erschafft jeden Menschen. Gott schenkt allen Menschen das Leben, das mit dem Tod nicht endet. Wir können darauf vertrauen, dass Mt 22,14 umgekehrt zu denken ist: Alle sind berufen, und wer berufen ist, ist auch auserwählt.

Das in Erinnerung zu rufen, dazu bin ich da.

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15. Die beiden Aspekte der letzten Wirklichkeit  -  28. Juni 2009

Es gibt einen persönlichen und einen unpersönlichen Aspekt der letzten Wirklichkeit. Den einen Aspekt nennen wir persönlich, und wir nennen ihn Gott. Den anderen Aspekt nennen wir unpersönlich, und wir nennen ihn zum Beispiel Dao. Aber das tiefste Wesen beider Aspekte ist die Liebe.

In meiner Bearbeitung des Daodejing habe ich im Kapitel 46 das Wort „Dao“ mit „Urgrund“ wiedergegeben und den Urgrund als Urliebe bezeichnet. Ich habe geschrieben:

        Der Urgrund lässt alles zu.
        Die Kräfte können so oder so gebündelt werden,
        zur Förderung oder zur Vernichtung des Lebens.
        Doch da der Urgrund die Urliebe ist,
        wird die Liebe den Hass überdauern.

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14. Sakrament und Magie  -  21. Juni 2009

Nach dem Langenscheidt Fremdwörterbuch ist ein Sakrament eine feierliche religiöse Handlung, die die göttliche Gnade vermitteln soll. Die orthodoxe Kirche spricht nicht von Sakramenten, sondern von Mysterien. Nach dem Langenscheidt Fremdwörterbuch ist ein Mysterium ein religiöses Geheimnis. "Der auf aristotelischem Denkhintergrund entstandene lateinische Begriff 'Sakrament' (sacramentum = urspr. Fahneneid) schließt eine rechtliche Komponente ein und lässt sich genau definieren. Anders das ihm zugrunde liegende griechische Wort 'mysterion' (von 'myein' = Schließen von Mund und Augen, Einweihung in ein Heilsgeheimnis). Das Mysterium bezeichnet eine 'verborgene Offenbarung', die sich darbietet, ohne sich zu entbergen. Es geht also um eine Paradoxie, die sich nicht auflösen lässt. Denn beides gehört wesensmäßig zum Mysterium: das enthüllende Offenbaren und das verhüllende Sich-dem-Zugriff-Entziehen." (Aus: Sergius Heitz, Susanne Hausammann, "Christus in euch", S. 130.)

Seit alter Zeit wird bei Übersetzungen vom Griechischen ins Lateinische das Wort "mysterion" mit "sacramentum" wiedergegeben.

Nach der Ansicht Luthers "ist das Sakrament eine besondere Gestalt des Wortes Gottes, nämlich, wie er in Anlehnung an Augustinus formuliert, sichtbares Wort (verbum visibile)." (Wikipedia beim Stichwort Martin Luther.)

"Die [...] Sakramente sind die Zeichen und Werkzeuge, durch die der Heilige Geist die Gnade Christi, der das Haupt ist, in der Kirche, die sein Leib ist, verbreitet." (Katechismus der Katholischen Kirche, 774.) Dabei ist nach römisch-katholischer Sicht die Gültigkeit der Sakramente an Form, Materie und Intention des Spendenden gebunden.

Magie (von griechisch μαγεία, mageía für Zauberei, Gaukelei, Blendwerk) ist die angebliche Beeinflussung von Ereignissen, Menschen und Gegenständen, indem der Magier versucht, übernatürliche Kräfte, Geister oder Dämonen mit Hilfe von Ritualen, Beschwörungsformeln oder ähnlichen Praktiken in den Dienst zu nehmen. (Definition nach Wikipedia, jedoch von mir verändert.)

Niemand kann über ein Sakrament verfügen. Verfügungsgewalt wäre Magie.

Ein Sakrament kann nicht gespendet werden. Spenden kann man nur, was einem gehört. Die Sakramente gehören keinem Menschen. Sie gehören Gott. Ein Sakrament kann nur weitergegeben werden. Es handelt sich um die Weitergabe eines Schatzes des Glaubens und der Liebe.

Ein Sakrament kann nicht im Namen der Kirche weitergegeben werden, sondern nur im Namen Gottes und in der Nachfolge Jesu. Ob der oder die Weitergebende wirklich im Namen Gottes und in der Nachfolge Jesu handelt, entzieht sich der Beurteilung. Die Taufe gliedert in die Gemeinschaft aller Christen und Christinnen ein, nicht in eine bestimmte Teilkirche. Das ist insofern auch heute schon Realität, als die Taufe von vielen christlichen Teilkirchen gegenseitig anerkannt wird.

Ein christliches Sakrament kann von jedem bzw. jeder Getauften weitergegeben werden. Die Einschränkung auf besonders beauftragte oder geweihte Menschen geht in Richtung Magie. Bei der Eheschließung sind es die Eheleute, die einander das Sakrament schenken.

Ein Sakrament kann nicht gültig oder ungültig weitergegeben werden. Das Urteil über die Gültigkeit geht in Richtung Magie.

Ein Sakrament ist von Form und Materie unabhängig. Alles andere wäre Magie. Natürlich wird man trotzdem für die Taufe in der Regel Wasser verwenden und für die Eucharistie oder das Abendmahl in der Regel Brot und Wein.

Ein Sakrament zu empfangen bedarf keiner Würdigkeit. Die Würde eines jeden Menschen ist unantastbar. Glücklich ist, wer die Gnade eines Sakraments mit offenem Herzen empfängt und in seinem Leben weiterwirken lässt.

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13. Abendmahl und Eucharistie  -  20. Juni 2009

"Was im Abendmahl geschieht, spricht den Menschen mit all seinen Sinnen an, doch lässt sich nicht alles mit letzter Genauigkeit erklären. Strittig war und ist die Frage, wie es denn zu verstehen ist, dass Jesus in seinen Stiftungsworten Leib und Blut mit Brot und Wein gleichsetzt. In der Alten Kirche hatten die Menschen damit keine Verständnisprobleme, denn im antiken Denken wurde nicht zwischen Symbol und Wirklichkeit unterschieden. Zudem kennt das Aramäische, die Sprache Jesu, keine Hilfszeitworte ('ist'). Wie sollte man also 'das mein Leib' übersetzen? Entweder: Das ist mein Leib. Oder: Das bedeutet mein Leib. Nach katholischer Lehre werden Brot und Wein in Leib und Blut Christi verwandelt (Transsubstantiation, lat.: Wesensverwandlung). Nach lutherischer Auffassung ist Christus in Brot und Wein körperlich zugegen (Realpräsenz), während nach reformiertem Verständnis das Abendmahl lediglich als Zeichen (Symbol) der Gegenwart Gottes zu sehen ist." (Udo Hahn im Lexikon der Evangelischen Kirche in Deutschland: www.ekd.de/glauben/abc/abendmahl.html.)

Was hier als reformiertes Verständnis bezeichnet wird, trifft nur auf den Züricher Reformator Zwingli zu, nicht aber auf den Genfer Reformator Calvin. "Der Reformator der französischen Schweiz schreibt über das Abendmahl wie folgt: Aller Segen des heiligen Abendmahles würde sich in nichts auflösen, wenn nicht darin Jesus Christus als Wesen und Grundlage dargeboten wird. Brot und Wein sind sichtbare Zeichen für Christi Leib und Blut, durch die er sich uns mitteilt. Unsere Gemeinschaft mit dem Leib Jesu Christi, an sich unseren Sinnen verborgen, unserem Verstand unfassbar, wird uns dadurch wahrnehmbar vor Augen gestellt. Über den Abendmahlsstreit sagt Calvin: 'Ohne Zweifel hat ihn der Teufel entfacht, um den Lauf des Evangeliums zu hemmen, ja wenn möglich, ganz zu vereiteln. Wenn wir das Sakrament empfangen, werden wir in Wahrheit des wahren Leibes und Blutes Jesu Christi teilhaftig. Wie das geschieht, wissen die einen besser auszulegen als die anderen.' " (Georg Rieger, Positionen zum Abendmahl: www.reformiert-info.de/51-0-56-3.html.)

In einer Eucharistiefeier der römisch-katholischen Kirche, an der ich gestern Abend teilgenommen habe, haben sich mir bei der Kommunion alle diese Sichtweisen zu einer einzigen vereinigt. Dass das möglich wurde, hat eine Vorgeschichte. Im Jahr 1978, als Karol Józef Wojtyła zum Papst gewählt wurde, besuchte ich die evangelische Marienschwesternschaft in Darmstadt-Eberstadt. Ich nahm am Abendmahl teil und hatte ein intensives Einheitserlebnis, sodass meine Tränen strömten. Von diesem Tag an wusste ich: Das Mysterium des Abendmahls oder der Eucharistie gehört nicht der römisch-katholischen Kirche allein. Es gehört allen Christen.

Von 1998 bis 2006 lebte ich in der Schweiz. Im Dezember 2004 trat ich wieder in die römisch-katholische Kirche ein, aus der ich im Jahr 1997 ausgetreten war. In den Jahren 2005 und 2006 erlebte ich in der Schweiz mehrere römisch-katholische Eucharistiefeiern, bei der auch alle Reformierten zur Kommunion eingeladen waren, und reformierte Gottesdienste, bei denen auch alle Katholiken zum Abendmahl eingeladen waren. Und in den letzten beiden Jahren durfte ich in Österreich mehrmals in evangelischen Gottesdiensten am Abendmahl teilnehmen.

Das zweite Hochgebet der römisch-katholischen Kirche habe ich umgeschrieben und eine kleine Liturgie für das Teilen von Brot und Wein, von Leib und Blut des auferstandenen Jesus geschrieben. Bei mir zuhause feiern wir von Zeit zu Zeit nach dieser Liturgie - ohne Priester. Es gibt für mich keinen Zweifel, dass wir dabei seinen Auferstehungsleib und sein Auferstehungsblut aufnehmen, also nicht den Leib, der vor zweitausend Jahren gelebt hat und gestorben ist, und nicht das Blut, das vor zweitausend Jahren geflossen ist, sondern seinen jetzigen Leib, der sich von Herz zu Herz mit uns allen verbinden will, und sein jetziges Blut, das durch die Welt strömt und uns alle reinigen, heilen und heiligen will. (Siehe das Kapitel "Das Welthochgebet" in meinem Buch "Jesus für alle".)

In der letzten Zeit ist mir klar geworden: Das Mysterium des Abendmahls oder der Eucharistie gehört nicht einer einzelnen christlichen Kirche allein. Es gehört auch nicht der Gesamtheit der Christen allein. Es gehört allen Menschen. Kein Mensch darf zurückgewiesen werden, unabhängig von der Religion oder Weltanschaung, der er angehört. Jesus wird sein Leben segnen und bereichern.

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12. Sexualität ist heilig  -  29. Mai 2009

Sexualität ist heilig. Gemeint ist nicht Sexualität mit wechselnden Partnern, gemeint ist nicht Promiskuität. Gemeint ist die Sexualität einer Frau, die ihrem Mann gehört, mit einem Mann, der seiner Frau gehört.

In einer Kolumne der "Furche" vom 28. Mai 2009 schreibt Walter Homolka: "Der Talmud verweist auf die Bedeutung 'heiligen' für die Eheschließung. Durch das kidduschin, den Heiligungs- und Trauakt, wird die Frau für die ganze Welt tabu. Eine der schönsten Bemerkungen zur Ehe stammt von Nachmanides: 'Der Akt der sexuellen Vereinigung ist heilig und rein [...] Der Herr hat all diese Dinge in seiner Weisheit geschaffen und hat nichts Beschämendes oder Hässliches erschaffen [...] Wenn ein Mann seinem Weibe in Heiligkeit beiwohnt, ist die Göttliche Gegenwart mit ihnen.' "

Ich verstehe dieses Zitat so: Durch das kidduschin, den Heiligungs- und Trauakt, wird auch der Mann für die ganze Welt tabu.

Weil meine Frau und ich diese Heiligkeit spüren, haben wir bei der sexuellen Vereinigung stets eine Kerze brennen.

Glücklich sind die, denen die Ehe gelingt. Es schaffen nicht alle.

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11. Was heißt Unfehlbarkeit?  -  28. Mai 2009

Wie ich der Wikipedia entnehme, kennt die orthodoxe Kirche die Unfehlbarkeit der Kirche und sagt, der Geist Gottes werde nicht zulassen, dass die gesamte Kirche sich in Irrlehren verliert, sondern werde einen Weg schaffen, dies zu verhindern.

Wenn man über die orthodoxe Kirche hinausgeht, kann man sagen, dass das auch für die gesamte Christenheit gilt, in folgendem Sinn: Der Geist Gottes wird dafür sorgen, dass sich die Christenheit trotz ihrer Unwilligkeit, sich zu einigen und trotz der Untaten, die im Namen Jesu und im Namen Gottes begangen worden sind und noch begangen werden, nicht in der Rechthaberei und im Bösen verhärtet.

Dabei kann ich nicht stehenbleiben. Wenn ich auch zur römisch-katholischen Kirche gehöre, so ist doch meine eigentliche Kirchgemeinde die Menschheit und mein eigentliches Gotteshaus die Erde. Ich sehe es als meine Aufgabe, auf diese Weise das Werk des Lebens, des Todes und der Auferstehung Jesu in der heutigen Zeit konsequent weiterzuführen. Der Geist Gottes wird die Herzen vieler Menschen erwecken. Auf diese Weise wird er dafür sorgen, dass die Menschheit trotz der großen Krisen und Ungerechtigkeiten in der Welt die Erde nicht zugrunderichtet, und er wird dafür sorgen, dass trotz vieler Kriege und Rachehandlungen die Zeit kommt, wo die Menschen in Frieden miteinander leben können. Hier auf unserer Erde und nicht erst auf einer Erde, die entsteht, wenn unsere Erde vernichtet ist.

Dem widerspricht die Einteilung der Menschen in Gute und Böse und das apokalyptische Weltbild, das einen Endkampf zwischen guten und bösen Mächten voraussagt. Dieses verkehrte Weltbild, das vor allem von religiösen Schriften (z.B. der apokalyptischen Literatur der Bibel) propagiert worden ist, hat nur zu Missbrauch angeregt und Unheil angerichtet. Demgegenüber haben wir die Aufgabe, füreinander einzustehen.

Es wird nicht so sein, dass die Guten siegen und die Bösen vernichtet werden. Die Menschheit als Ganzes kann nicht verloren gehen. Die Erde als Ganzes kann nicht zerstört werden. Sie wird ihr natürliches Ende finden. Doch zu dieser Zeit werden schon Millionen von Jahren lang keine Menschen mehr auf ihr wohnen.

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10. Was heißt Nachfolge?  -  25. Mai 2009

Als ich gestern bei der Arbeit an meinem Buchmanuskript "Botschaft ohne Grenzen" die Bibelstelle Mt 28,18-20 las, kamen mir die Tränen. Sie lautet in der Übersetzung von Hermann Menge:

"Mir ist alle Gewalt im Himmel und auf Erden verliehen. Darum gehet hin und macht alle Völker zu (meinen) Jüngern: Tauft sie auf den Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes und lehrt sie alles halten, was ich euch geboten habe. Und wisset wohl: Ich bin bei euch alle Tage bis ans Ende der Weltzeit!"

Die Stelle besagt, dass Jesus uns sendet. Und mir kam vor Augen, welche Untaten angerichtet worden sind, die sich auf diese Stelle beziehen. Ohne ein Beispiel anzuführen, zitiere ich aus dem Artikel "Zwangschristianisierung" der Wikipedia:

"Unbestritten ist, dass Christianisierungen im Verlauf ihrer zweitausendjährigen Geschichte oft unter einem extremen Zwang stattfanden; dieser hatte zahlreiche Ausprägungen und ist durch vielfältige Quellen und wissenschaftliche Forschungen belegt ... Zwangschristianisierungen gab es mit dem Erstarken des Christentums im römischen Kaiserreich in der Spätantike, und in der Ausdehnungsphase im Europa des Frühmittelalters. Außerdem während der Kolonisation in der frühen und mittleren Neuzeit. Zur Zwangschristianisierung gehörte nicht nur die zwangsweise Taufe, sondern auch das Unterdrücken oder Umdeuten heidnischer Bräuche und Vorstellungen."

Zusammen mit den Tränen kam mir der Satz: Hier hat man nicht die richtige Reihenfolge eingehalten! Die richtige Reihenfolge wäre, erst Jesus nachzufolgen und dann erst in seinem Namen zu anderen Menschen zu gehen.

Was heißt Nachfolge? In den katholischen Kirchen gibt es die Herz-Jesu-Altäre, und man kann sich dem Herzen Jesu weihen. Das darf aber nicht oberflächlich geschehen. Eine tiefe, innerliche Beziehung von Herz zu Herz muss daraus werden, und ein tiefes Verständnis, wie er ist, was er tut, wie er sich zu Gott verhält, wie er sich zu den Menschen verhält. Man muss sich ganz davon bewegen lassen, bis eine Bewegung entstanden ist, die sich durch nichts mehr aufhalten lässt und die dazu führt, dass man wie Jesus und doch auf ganz individuelle Weise zum Heil der Menschen beiträgt und das göttliche Leben in sich selbst und auf der Erde realisiert.

Wer Jesus so nachfolgt, verwirklicht das Leben in seinem Namen ohne Gewalt und Zwang. Doch bereits der Autor des Matthäus-Evangeliums, der Jesus diese Worte sprechen lässt, hat die Nachfolge Jesu nicht genügend vollzogen, hat die richtige Reihenfolge nicht eingehalten.

In meiner Bearbeitung lauten die Sätze so:

Der Vater hat mir die Macht gegeben, alle Menschen aus ihren Verstrickungen zu befreien und zu ihm zu führen. Macht das allen Menschen klar, dadurch, wie ihr seid, was ihr tut und was ihr redet. Und die euch darum bitten, die tauft auf den Namen des Vaters und auf den Namen des Menschensohns und Messias’, den er gesandt hat, und auf den Namen des Geistes, der von ihm ausgeht. Behaltet die Liebe zu mir in euren Herzen. Sie macht euch ähnlich zu mir. Solche Liebe wird von euch auf andere überspringen. Alle Menschen und die ganze Schöpfung warten auf eure Liebe. Was auch immer euch widerfährt, Gutes und Böses, Schönes und Entsetzliches, ich werde dabei sein. Ich bin bei euch, alle Tage, die den Menschen auf der Erde geschenkt sind, und darüber hinaus.

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9. Erfahrung vor und nach dem Tod  -  22. Mai 2009

Zu diesem Thema fällt mir die folgende Geschichte ein, die ich so wiedergebe, wie ich sie im Gedächtnis habe:

Zwei Scholastiker möchten gerne herausfinden, ob das Leben nach dem Tod so ist, wie sie es sich vorstellen. Sie vereinbaren: Der, der zuerst stirbt, möge dem anderen im Traum erscheinen und nur ein Wort sagen: taliter (wenn es so ist) oder aliter (wenn es anders ist). Als dann einer der beiden stirbt, erscheint er wirklich dem anderen, und er sagt: Taliter, sed totaliter aliter. (Es ist so, aber zugleich ist es vollkommen anders.)

Dazu sage ich gerne ja.

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8. Die letzte Wirklichkeit  -  22. Mai 2009

Die letzte Wirklichkeit hat zwei Seiten.
Die eine Seite ist persönlich. Sie wendet sich uns zu als ein Du und hält die Fülle der Liebe für uns Menschen und für jedes Detail in der Welt bereit. So hat Jesus Gott erfahren.
Die andere Seite ist unpersönlich. Sie ist die Quelle des Werdens und Vergehens.

Die letzte Wirklichkeit hat zwei Seiten.
Die eine Seite hat einen Namen: JHWH (
יהוה‎). Da dieser Name vor Ehrfurcht nie ausgesprochen wurde, weiß niemand mit hundertprozentiger Sicherheit, welche Vokale zwischen die hebräischen Zeichen des Namens gehören. Der Name ist eine Definition der letzten Wirklichkeit, eine Aussage über sie: Sie ist als eine sich liebevoll zuwendende Persönlichkeit immer da, immer für uns da. Wer bereit ist, diese Tatsache trotz des Elends und der Ungerechtigkeiten in der Welt immer mehr aufzunehmen, macht die Erfahrung, dass er in allem und jedem geführt, aber nicht gegängelt, getragen, aber nicht entmündigt wird.
Die andere Seite hat keinen Namen und ist daher schwer zu beschreiben. Ich bringe zwei Beispiele:

In meiner Bearbeitung des Daodejing habe ich dem Kapitel 41 die Überschrift "Der Tanz des Lebens" gegeben, und ich beende das Kapitel mit den Worten:

             Erst tanzt du einen Tanz,
             dann tanzt du alle und förderst sie.
             Erst lebst du aus dem Namenlosen,
             dann bist du das Namenlose.

Und zum 81. Kapitel des Daodejing habe ich bereits im Jahr 1983 ein Gedicht geschrieben, das für mich bis heute Gültigkeit hat:

             Eine Kerze brennt,
             und dann verlöscht sie.

             Du gehst und siehst
             immer neue Horizonte,
             bis eines Tages
             kein Horizont mehr da ist.

             Das Namenlose
             hat keine Namen.

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7. Zeit und Ewigkeit  -  21. Mai 2009

Nach dem Deutschen Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm umfasst der Wortbegriff von Zeit die Vorstellung der Folge sowie die Begriffe des realen Geschehens und der Begrenzung. Nach demselben Wörterbuch kann sich die Vorstellung der Ewigkeit sowohl auf die Vergangenheit als auch auf die Zukunft beziehen. Sie kann eine lange Dauer in der Zeit und eine große Ausdehnung im Raum bedeuten. Auf die Zeit bezogen ist Ewigkeit etwas, das nie aufhört.

Ein Gedicht in Friedrich Nietzsches Zarathustra endet mit den Worten:

            "Weh spricht: Vergeh!
             Doch alle Lust will Ewigkeit,
             will tiefe, tiefe Ewigkeit!"

Diese Worte drücken die starke Sehnsucht nach Dauer aus. Diese Sehnsucht führt nicht über unsere Vorstellungswelt von Raum und Zeit hinaus.

Ein Gedicht, das ich vor kurzem geschrieben habe, beginnt mit den Zeilen:

             was ist schon zeit
             was ist schon ewigkeit

Das Leben nach dem Tod ist das Einbringen einer Ernte, doch in keinen noch so großen Raum, in keine noch so große Dauer kann diese Ernte eingebracht werden. Etwas, das in Raum und Zeit begonnen und sich entfaltet hat, wird jetzt gereinigt, über jede Zeit und Ewigkeit hinaus bewahrt und für Zeit und Ewigkeit fruchtbar gemacht. In der letzten Wirklichkeit, die sogar als ein Du erfahren und mit "Gott" oder "Vater" angeredet werden kann, die aber davon unabhängig ist, ist jedes solche Etwas bewahrt.

Können wir Menschen uns etwas vorstellen, das über Zeit und Ewigkeit hinausgeht? Können wir schon in diesem irdischen Leben eine Erfahrung davon bekommen, die über eine Ahnung hinausgeht? Ja, wir können das.

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6. Mysterium  -  21. Mai 2009

Das Wort Mysterium bedeutet Geheimnis, auch ein religiöses oder göttliches Geheimnis. Mir geht es jetzt nicht um Mysterienkulte der Antike oder Mysterienspiele des Mittelalters, sondern um die Frage: Ist die Gegenwart Jesu in Brot und Wein bei der Eucharistiefeier bzw. dem Abendmahl ein Mysterium?

Für mich ist das Mysterium die volle Gegenwart, also die Gegenwart, die nicht mehr von Vergangenheit oder Zukunft bestimmt ist, die sich nicht mehr auf Zeit und Ewigkeit bezieht, nicht mehr auf irgendeine Form von Dauer. Alles das ist von der vollen Gegenwart abgefallen, sie ist wie nackt und sehr erleichtert.

Und das Mysterium der vollen Gegenwart Jesu? Er ist einfach da, wie Gott einfach da ist, befreit von jeder Form von Raum und doch anders. Er ist da in der vollständigen Erfüllung seiner Individualität. Er ist da als der, der rückhaltlos und grenzenlos zu Gott, dem Vater hin einlädt und zieht. Immer, für alle Zeiten, und überall dort, wo Menschen leben und solange es Menschen gibt. Unabhängig davon, ob sie in seinem Namen versammelt sind.

Und das Mysterium der Gegenwart Jesu in Brot und Wein? Geht denn das noch über das hinaus, was ich gerade geschrieben habe? Ja, denn es ermöglicht, ihn mit allen Sinnen zu schmecken, mit den Sinnen des Körpers und den Sinnen, die mehr als den Körper umfassen. Es ermöglicht, in die Stille seiner Gegenwart einzutreten und dort korrigiert und zurechtgerückt zu werden. Es ermöglicht, im Brot die nährende Liebe und im Wein die sich verströmende Liebe kennen und leben zu lernen, die keine Grenzen kennt, die alles einschließt und nichts ausschließt.

Jesus in Brot und Wein - das ist eine Realität, mit der es sich eins zu werden lohnt, in der grenzenlosen, Einheit stiftenden und jede Individualität zur Vollendung führenden Liebe.

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5. Von Herz zu Herz  -  21. Mai 2009

"Ishin-Denshin, japanisch, wörtlich: 'den Geist durch den Geist übermitteln'. Ein wesentlicher Begriff des Zen, oft auch übersetzt mit 'Übertragung von Herz-Geist zu Herz-Geist'. Der Begriff stammt aus dem Plattform-Sūtra des sechsten Patriarchen Hui-neng. In diesem Sūtra erklärt Hui-neng, dass die Wahrheit des Zen nur durch eigene Erfahrung in einem unmittelbaren Verstehen der wahren Natur möglich ist. Gelehrsamkeit durch Buchwissen ist wertlos." (Zensho W. Kopp, Zen und die Wiedergeburt der christlichen Mystik, Verlag Schirner, 1. Auflage 2004.)

Es geht nicht um die Wahrheit des Zen. Es geht um die Wahrheit des Augenblicks, frei von den Bewertungen, die der Wahrnehmende dem Wahrgenommenen so oft anhängt. Es geht um liebevolles Verständnis durch unmittelbare Wahrnehmung dessen, was ist. Es geht um das Vertrauen im Augenblick, das aus dem Urvertrauen kommt. Das Urvertrauen sagt: "Ich gehe nicht verloren."

Wenn eine Verständigung besonders gut klappt, sagt man in der Alltagssprache: "Von Herz zu Herz." Damit ist ja nicht einfach nur die Pumpe im Körper gemeint, und es handelt sich ja nicht um eine Bluttransfusion. Das körperliche Herz ist schon mitgemeint, aber das hier gemeinte Herz findet in allen Schichten der Persönlichkeit seinen Ausdruck und nicht nur in der körperlichen. Es geschieht eine Übertragung, und in einem solchen Augenblick sind das Ich und das Du aufgehoben in einem Wir.

Es ist also mehr als eine Übertragung von Herz-Geist zu Herz-Geist. Das Wort "Geist" schränkt zu sehr ein.

In der Nacht der Geburt Jesu kommen die Hirten zu dem Neugeborenen und Maria und Josef und erzählen von der Engelerscheinung, die sie erlebt haben. Wie reagiert Maria darauf? Ich zitiere aus der wörtlichsten Übersetzung, aus dem Münchener Neuen Testament: "Mariam aber bewahrte alle diese Worte, erwägend (sie) in ihrem Herzen." (Lk 2,19.)

Ich habe mich dem Herzen Jesu geweiht und dem Herzen Marias und dem Herzen Gerhilds, meiner Frau, über den Tod hinaus.

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4. Biblische Texte bearbeiten  -  21. Mai 2009

Beim Bearbeiten biblischer Texte unterscheide ich zwischen zwei Fragen:
Was will der Text sagen?
Was sagt der Text?
Meine Vorgangsweise beschreibe ich anhand von zwei Beispielen.

Das erste Beispiel ist der Besuch des Nikodemus bei Jesus (Joh 3,1-21).
Der Text will eine theologische Lehre zum Ausdruck bringen: Jesus will alle retten. Die Menschen des Lichts werden aus Wasser und Geist neu geboren. Die Menschen der Finsternis richten sich selbst. Um diese Lehre auszudrücken, wird Nikodemus als Stichwortgeber und Jesus als Sprachrohr der Verkündigung verwendet.
Meine Änderung drückt aus, dass Jesus die Möglichkeit der Rettung aller tatsächlich öffnet. Niemand richtet sich selbst. Nikodemus und Jesus werden zu lebendigen Menschen, die ein wirkliches Gespräch miteinander führen.

Das zweite Beispiel ist die Geschichte von den zehn "klugen" und "törichten Jungfrauen", bei mir umgewandelt in die Geschichte von der sorgfältigen und der leichtsinnigen jungen Frau (Mt 25,1-13).
Zehn Frauen gehen dem Bräutigam entgegen. Nur fünf Frauen nehmen genug Öl für ihre Lampen mit, und sie weigern sich, den anderen etwas abzugeben. Wenn die anderen schließlich zum Hochzeitssaal kommen, ist die Türe für sie verschlossen.
Ein Kommentar schreibt: "Dass die klugen Jungfrauen kein Öl weitergeben und dass es für den Einkauf von Öl zu spät ist, will nur zeigen, dass geistliche Bereitschaft nicht übertragbar ist und es ein Zuspät gibt." (Kommentar zur Bibel, R. Brockhaus Verlag Wuppertal, 5. Gesamtauflage 2003.)
Für mich zeigt der Text etwas anderes: Jeder soll auf sich schauen, der andere soll sehen, wo er bleibt. Und wenn er es nicht schafft, ist er draußen in der Verdammnis.
Meine Änderung drückt aus, dass durch das gegenseitige füreinander Einstehen die Aufnahme aller möglich ist, und dass es kein Zuspät gibt.

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3. Leben ist Bewegung  -  18. Mai 2009

Das menschliche Leben ist Bewegung. Erkenntnisse müssen immer im Fluss bleiben. Wenn sie erstarren, sind sie tot.

Jesus war im Fluss und wandte sich gegen Erstarrung in Religion und Gesellschaft. Im Zweiten Bundesbuch, dem Neuen Testament, findet man bereits wieder Erstarrungstendenzen.

Beim Schreiben meiner Bücher bin ich im Fluss. Die Psalmen habe ich bearbeitet, um über die Tendenzen zu Selbstbemitleidung, Selbstgerechtigkeit, Hass und Verfluchungen hinwegzukommen, die dort auch zu finden sind. Bei den Johannes-Schriften habe ich die Tendenzen, andere zu verdammen, weggenommen, die bei der Offenbarung des Johannes so schlimm sind, dass ich ganze Kapitel vollkommen neu gestaltet habe. Bei der Bearbeitung des Daodejing habe ich erkannt, dass man die tiefsten Dinge des Lebens sagen kann, ohne das Wort "Gott" zu verwenden. In meinem Sachbuch "Jesus für alle" habe ich ausgedrückt, dass Jesus nicht einer Religion und ihren Anhängern, sondern allen Menschen gehört.

Derzeit arbeite ich an einer Zusammenschau der drei synoptischen Evangelien (Matthäus, Markus und Johannes). Für mich sind die Aussagen in diesen Evangelien teilweise so schlimm, dass ich sie um 180 Grad umdrehe. Es ist viel Drohbotschaft enthalten. Das Buch hat den Arbeitstitel "Botschaft ohne Grenzen". Die Botschaft Jesu kennt keine Grenzen, sie ist für alle da.

Als Nächstes plane ich ein Buch "Jesus ohne Dogmen", in dem ich die christlichen Wahrheiten neu formulieren will, ohne sie festzuhalten, ohne sie erstarren zu lassen. Als Übernächstes habe ich ein Buch angedacht, in dem ich das Hier und Jetzt unseres Lebens sprenge. Da ich nicht weiß, ob das gelingen kann, verrate ich zu diesem Zeitpunkt nicht mehr davon.

Vor vielen Jahren, als ich buddhistische Freunde hatte und mich sehr mit dem Buddhismus auseinan-dersetzte, habe ich die vier Bodhisattva-Gelübde abgelegt, für mich allein, ohne Zeugen. Dennoch sind diese Gelübde etwas, das mein Leben begleitet. Sie lauten:

"• Zahllos sind die Lebewesen; ich gelobe, sie alle zu retten.
 • Unerschöpflich sind die eitlen Gedanken und Gefühle; ich gelobe, sie alle zu lassen.
 • Ungezählt sind die Tore zur Wahrheit; ich gelobe, sie alle zu durchschreiten.
 • Unvergleichlich ist der Weg der Erfahrung; ich gelobe, ihn mutig zu gehen."
(Ruben Habito, „Barmherzigkeit aus der Stille - Zen und soziales Engagement“, S. 87.)

Leben ist im Fluss. Auch eine vollständige Hingabe an den Gott Jesu hebt diese Gelübde nicht auf. Jesus ist der Bahnbrecher par excellence. Er ist der Kanal par excellence, durch den die Kraft und Liebe Gottes in die Welt fließt. Doch er sagt zu jedem und jeder von uns: "Folge mir nach."

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2. Sensitivität  -  15. Mai 2009

Gerhild, meine Frau, ist zugleich meine Lektorin. Wenn wir uns zum PC setzen und gemeinsam das gerade fertig gewordene Kapitel des Buchmanuskripts anschauen, an dem ich gerade arbeite, liest sie es laut. Und während sie es liest, spüre ich vielfach schon, was von ihrem Blickwinkel aus, der nun mit meinem Blickwinkel verschmilzt, noch geändert werden muss. Natürlich spüre ich nicht alles. Vieles sagt sie mir in Worten.

Es geht nicht darum, dass ich meinen Blickwinkel aufgebe, oder dass sie ihren Blickwinkel aufgibt. Wenn wir auf diese Weise gemeinsam ein Kapitel durchgehen, beginnen wir auf einmal, der Sache zu dienen.

Gerhild spürt oft, was ich denke und fühle, und umgekehrt. Das ist eine Fähigkeit, die in Ansätzen bei allen Menschen vorhanden ist. Wäre es nicht schön, wenn viele Menschen diese Fähigkeit kultivieren würden? Könnten sie sich dann nicht viel leichter hingeben, könnten sie dann nicht viel leichter der jeweiligen Sache dienen und damit der Erde als ganzer?

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1. Alles für alle  -  25. April 2009

Paulus schreibt im ersten Korintherbrief: „Für alle bin ich alles geworden, um auf jeden Fall einige zu retten.“ (1 Kor 9,22 nach der Übersetzung von Hermann Menge.)

Das ist mir zu wenig.

Für alle werde ich alles, jetzt und alle Tage meines Lebens und über meinen Tod hinaus, um auf jeden Fall alle zu retten.

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